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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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Bücher darin zu sehen. Das kam in seiner Arbeit immer seltener vor. Ermittlungen in den Zimmern von Jugendlichen bestanden in erster Linie darin, die Hüllen von CDs, DVDs oder Videospielen zu erfassen. Es waren immer die gleichen. Sie verrieten nichts oder sehr wenig über die Persönlichkeit ihrer Besitzer. Aber eine Bibliothek! Das war ein echter Spiegel. Und einer, der nur selten log.
    »Bestand denn wenigstens eine Chance?«, fragte er. »Ich meine … Konnte der Vater indianisches Blut haben?«
    Sonia Barisonek zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe es Ihnen ja schon gesagt, bei Jackie war alles möglich. Amy hat wie verrückt Nachforschungen über die Indianer angestellt. Sehen Sie selbst, die Bücher an den Wänden haben nur ein Thema! In allen Schulferien musste ich mit ihr die Reservate der Region besichtigen, die der Abenaki, der Micmacs, der Penobscot, und bald ging es nach Dakota, Florida, Neu-Mexiko. Es nahm kein Ende. Bis zu dem Tag, da ich in ihre Idee mit der Mündigkeitserklärung einwilligte. Ehrlich gesagt, war ich nicht sonderlich traurig darüber, sie ziehen zu lassen. Aber dann ist sie nie zurückgekommen. Und jetzt weiß ich nicht, ob das eine gute Idee war, solange ich kein Lebenszeichen von ihr erhalte. Ich hoffe nur, dass sie wenigstens glücklich ist.«
    Sheridan brachte es nicht über sich, ihr zu erzählen, dass ihre Nichte weggegangen war, um in Nevada die Beine breit zu machen.
    »Nach sechs Jahren ohne Nachricht von ihr«, fuhr die Frau fort, »habe ich dann doch eine Vermisstenmeldung erstattet. Es gab eine Untersuchung, nicht sehr gründlich zwar, doch konnte man immerhin ihre ersten Schritte rekonstruieren. Mit Amys Foto bewaffnet suchten die Kriminalbeamten Indianerreservate auf. In manchen erkannte man sie wieder. Offenbar war sie bei den Stämmen nicht sehr gerne gesehen, sie wollte zu sehr »in ihnen aufgehen«, sie stellte eine Menge Fragen, sie nervte. Darin erkenne ich meine Amy aus dieser Zeit bestens wieder. Dann, nach zwei Jahren, verliert sich ihre Spur. Seitdem weiß man nichts mehr.«
    Sheridan notierte das, gab aber keinen Kommentar ab. Der Colonel fühlte sich unbehaglich in seiner Haut. Die arme Frau würde ihn verabscheuen und verfluchen, sobald sie erfuhr, dass ihre Nichte tot war und dass der liebenswürdige Colonel bereits davon wusste, während er ihr rätselhafte Fragen stellte und zuhörte, wie sie ihr Unglück vor ihm ausbreitete.
     
    »Und?«, machte Garcia, als Sheridan ins Auto stieg.
    »Diese Austen lebte in einer Fantasiewelt … Sie war total von der Rolle. Wir müssen mehr über ihr Leben in Nevada herausfinden.«
    »Ich kümmere mich darum. Ich war in der Zwischenzeit schnell beim Kommissariat um die Ecke, um zu erfahren, ob sich viele Zeugen zum Verschwinden von Amy Austen gemeldet haben.«
    »Und?«
    »Fast niemand. In sieben Jahren nichts als falsche Fährten.«
    Er startete den Motor. Sheridan verstaute seinen Fotoapparat und sein Notizbuch in einem Ordner mit der Aufschrift Austen, der für die Spezialisten bestimmt war.
    »Eine Durchgeknallte, sagen Sie?«, fragte Garcia. »Das passt recht gut zur Idee einer Sekte, stimmt’s?«
    »Ja, sie passt gut. Aber warten wir ab, wie es weitergeht.«

11
    Sheridans erste Amtshandlung nach seiner Ernennung zum Chef der Staatspolizei vor fünf Jahren war die Beantragung von Krediten gewesen, mit deren Hilfe die gesamten Papierarchive der Polizei digitalisiert werden konnten. Riesenberge von Blättern und Kartons vermoderten seit Jahrzehnten in den Metallschränken. Man engagierte ein Dutzend Informatiker, um das gesamte gelagerte Wissen der Polizei durchzugehen und die Informationen in einen Computer einzugeben. Eine Akte nach der anderen.
    Zusätzlich zu Basile King und Amos Garcia hatte Sheridan zwei dieser Experten für seine geheimen Nachforschungen über die vierundzwanzig hinzugezogen. Wenn der Gerichtsmediziner die Identität einer der vom FBI mitgenommenen Leichen feststellte, wenn Garcia im ganzen Land in ihrer Vergangenheit nachforschte und ihre Lebensläufe rekonstruierte, wenn er Verwandte suchte und Details aller Art sammelte, dann gab Sheridan diese an die zwei Informatiker weiter, damit sie sie in den Computer eingaben und verglichen.
    Abigail Burroughs, eine der Expertinnen, hatte ihm erklärt: »Wenn die Informationen digitalisiert sind, kann unser Programm jedes beliebige Detail einer Ermittlung als Ausgangspunkt nehmen und einen Datenabgleich damit durchführen. Das kann der Name des

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