Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
Vom Netzwerk:
genügte es, nie den Fuß vom Gas zu nehmen und die Augen offen zu halten.
    Für den Polizeichef von New Hampshire war die »nächste Kurve« schlicht und einfach das Portal von Durrisdeer. Und er war nicht so sehr auf der Suche nach der Wahrheit als auf der nach einem Schuldigen.
    Am Rand der Fahrbahn erkannte er das Holzschild, das Durrisdeer ankündigte. Sheridan kannte den Ruf der Einrichtung. Ein elitärer Verein für Gutbetuchte, der sich mit seiner klassischen altphilologischen Bildung brüstete. Schon mehrmals hatte er sich gegen die Absicht seiner Frau und ihre Idee gestellt, eines ihrer fünf Kinder könnte diese Schule besuchen. Eine Frage des Prinzips: Er mochte weder die Atmosphäre noch die Bewohner dieses Orts.
    Über Durrisdeer waren nicht wenige Geschichten in Umlauf. Sheridan wusste, dass Polizisten seiner Abteilung sich hatten schmieren lassen, um den untadeligen Ruf der Einrichtung zu bewahren. Es waren nicht die Familien der betroffenen Studenten, die die Kuverts gefüllt hatten, sondern der Verwaltungsrat. Durrisdeer war der größte Steuerzahler der Region, die jüngste Tochter des Gouverneurs war dort eingeschrieben, und die Mehrheit der Baufirmen des Staates schielte auf die Baugrundstücke des weitläufigen Anwesens. Man scherzte nicht mit Durrisdeer in New Hampshire.
    Es war das erste Mal, dass Sheridan dorthin fuhr. Er kam vor dem imposanten gusseisernen Portal an. Er stellte sich über die Sprechanlage vor und sagte, er habe eine Verabredung mit einem der Professoren. Nach einem Augenblick des Schweigens am anderen Ende der Leitung erklärte ihm eine Frau an der Vermittlung den Weg zum Schloss.
    Der Oldtimer rollte die von Rasenflächen und Laternen gesäumte Allee entlang. Ein Dutzend Gärtner waren bereits bei der Arbeit, um Laub zu sammeln, die Erde in den Blumenkübeln zu wässern und den Kies auf den Wegen zu glätten, die sich in den Waldstücken verloren. Die stilvolle Kleidung der Gärtner mit olivgrüner Schürze, weißem Hemd und breitkrempigem Hut verkündete unmissverständlich, dass man sich hier nicht an einem x-beliebigen Ort befand.
    Obwohl Sheridan das ehemalige Schloss von Ian E. Iacobs bereits von Fotos her kannte, erschien es ihm nun massiver als in seiner Erinnerung. Architektonisch wertvoll oder nicht, es war vor allem eigenartig. Die Zeit hatte die Zwischenräume geschwärzt und die Flächen hervortreten lassen. Was früher einmal heiter und grandios gewirkt haben mochte, machte nun einen düsteren Eindruck.
    Sheridan parkte seinen Wagen in dem runden Hof, den das Schloss überragte. In seiner Mitte hatten sich einige Schüler bei Norris Higgins um den Brunnen versammelt. Der technische Verwalter ließ eine mannsgroße Kurbel einrasten, drehte daran, und ein gewaltiger Wasserstrahl schoss in die Luft. Die Studenten klatschten Beifall. Damit war die Rückkehr der schönen Jahreszeit in Durrisdeer eingeläutet.
    Sheridan hatte mit all dieser guten Laune nichts am Hut. Er ergriff eine Mappe aus Karton und eine Papiertüte, stieg aus dem Auto und ging auf den Vorplatz des Schlosses zu. Der Colonel war nicht im Dienst, er trug Zivilkleidung. Niemand achtete auf ihn. Mit seinem makellos sitzenden, knapp knielangen Mantel und dem marineblauen Hut ähnelte er nicht im Geringsten einem Elitepolizisten, sondern ganz und gar dem Vater eines Schülers.
    Er betrat die Eingangshalle. Auch dort gab es einiges zu bestaunen: die riesige Treppe, die Galerien rechts und links, den Marmorboden und die Porträts in den massiven Rahmen. Graublaue Schichten, eine Mischung aus Staub und abgestandener Luft, schwebten in der Leere des Raums.
    Sheridan gegenüber erschien am oberen Ende der großen Treppe ein Mann und eilte herab, um ihn zu begrüßen.
    »Mr. Sheridan?«
    »Ich sollte mich bei …«
    »Ich bin Louis Emerson, der Dekan der Universität.« Er reichte ihm mit kräftigem Druck die Hand.
    »Sehr erfreut, Mr. Emerson. Ich habe nicht erwartet, dass Sie …«
    »Sheridan? Sheridan? Warten Sie, haben wir einen Schüler mit diesem Namen bei uns?«
    Emerson, dessen Hand noch immer in der Sheridans lag, runzelte die Stirn.
    »Für gewöhnlich erinnere ich mich an alle, die bei uns immatrikuliert sind, aber jetzt …«, murmelte er.
    Der Colonel hatte sich am Portal vorgestellt. Entweder war der Dekan schlecht informiert und hielt ihn wirklich für den Vater eines Schülers, oder er stellte sich dumm.
    »Ich bin Colonel Stuart Sheridan von der Staatspolizei«, knarrte er.
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher