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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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ausgiebig beobachtet, seinen Todeskampf und sein Sterben, und sich dabei Notizen gemacht . Die Tragödie war, dass dieses kleine Buch vom Publikum sehr gut aufgenommen wurde und ihm sogar einen Literaturpreis einbrachte. Stellen Sie sich nur vor, man hat die Präzision und Wahrhaftigkeit der Erzählung gelobt!«
    Die Frau strich mit den Fingerspitzen eine Falte auf ihrem Rock glatt.
    »Mit diesem Roman war die Sache für Ben O. Boz klar: Er hatte seine Methode gefunden. Eine seiner Methoden. Er entführte weitere »Subjekte« entsprechend seinen jeweiligen literarischen Schöpfungen. Oft leicht beeinflussbare Frauen, Leser, junge Schriftsteller, Leute, denen er Geld lieh, einfach alle, die er verführen und unter seinen Einfluss bringen konnte. Es fehlte nicht an Kandidaten. Die vierundzwanzig von der Baustelle sind nur die Letzten auf einer langen Liste.«
    »Sie wissen das? Sie wissen das und Sie haben ihn nie verhaftet?«
    Franklin hatte fast geschrieen. Patricia Melanchthon zuckte nicht mit den Wimpern.
    »Auch Ihnen, Professor, werde ich etwas Neues beibringen. Ben O. Boz ist vielleicht keine literarische Koryphäe, egal, was er selbst glaubt; nein, aber er ist ein genialer Verbrecher. Dieser Mörder, und er ist der erste von diesem Format, den wir in der Profiler-Abteilung des FBI kennengelernt haben, hat einfach die Intelligenz besessen, das normale Schema, nach dem alle Morde ablaufen, umzukehren. Ich meine damit, dass er nicht zuerst ein Opfer, eine Beute aussucht und sich dann das geeignete Mittel einfallen lässt, um es seinen Wünschen entsprechend zu eliminieren, ohne dabei gefasst zu werden. Nein, Ben O. Boz fängt mit dem Ende an: mit den Alibis.«
    »Mit den Alibis?«
    »Ja. Er schmiedet sich ein Alibi, bevor er überhaupt weiß, welches Verbrechen er begehen wird. Er sichert sich hundertprozentig ab und erst dann überlegt er, wen er töten kann und wie . Sein Trumpf ist es, dass er sich nie wie ein gewöhnlicher serial killer verhält. Er tötet weder aus Mordlust noch aus sexuellem Antrieb, seine Motive sind die Bücher. Er tötet, um Kriminalromane zu schreiben. Boz folgt also keinem zwingenden Ritual und keiner festen Methode, die sich von einem Mord zum nächsten wiederholen. Er signiert seine Morde nie. Ein Kriminalautor darf seinen Lesern nicht zweimal dieselbe Geschichte vorsetzen. Verbrechensschilderungen müssen überraschen. Das Opferprofil, die Waffen, die Orte, alles muss ständig variieren. Boz hat diese Erfordernisse auf die Realität übertragen. Daher das Fehlen eines modus operandi und seine Nichtgreifbarkeit.«
    Sie sah Franklin noch immer an.
    »Wir verhaften ihn nicht, Professor, weil er aufgrund seines Berufs darin bewandert ist, Intrigen und Rätsel in die Welt zu setzen und wieder zu lösen und die Polizei hinters Licht zu führen; weil er nie zweimal auf die gleiche Weise tötet; weil er ganz einfach nicht verrückt ist. All unseren Anstrengungen zum Trotz haben wir es nie geschafft, ein handfestes Beweisstück in die Finger zu bekommen, das wir einem Staatsanwalt zur Anklageerhebung hätten präsentieren können. Nie gab es einen zuverlässigen und unabhängigen Zeugen, keine handfesten Indizien, kein Beweisstück. Nichts. Wir haben ihn beschatten lassen. Einmal ist es ihm sogar gelungen, sich die Tatsache, dass er zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort überwacht wurde, als Alibi zunutze zu machen!«
    Patricia verstummte. Franklin war fassungslos. Sheridan saß mit verschlossener Miene da und brach schließlich das Schweigen mit ernster Stimme.
    »Wir haben den Ort gefunden, an dem er die vierundzwanzig eingesperrt hatte …«
    »Ich weiß. Das stillgelegte Elektrizitätswerk von Tuftonboro. Stimmt. Dorthin hat er seine letzten ›Experimente‹ gebracht. Manche seiner Versuchskaninchen blieben mehr als zehn Jahre in seiner Knechtschaft, eingesperrt in Zellen wie Laborratten. Wir wissen, dass er einen Mann mit Aids infiziert hat, um sich nichts von den Symptomen entgehen zu lassen, die damals noch wenig bekannt waren, dass er eine Frau vergewaltigt und alleine auf dem Betonboden gebären hat lassen, nachdem er die Muttermilchproduktion medizinisch unterbunden hatte. Das Kind starb unter seinen Augen. An einer Nutte praktizierte er Hypnosesitzungen. Er warf einen Mann den Hunden zum Fraß vor, um zu beobachten, wie sie es anstellten, ihn zu verschlingen. Er folterte einen jungen Mann mit Elektroschocks auf einem elektrischen Stuhl, den er bei einer Versteigerung in

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