Kein Entrinnen
die ergänzenden Unterlagen für seine Vorbereitung, die vor drei Tagen begonnen hatte. Franklin sollte alles über Boz wissen, bevor er ihm gegenübertrat, so die Anweisung von oben.
»Pass darauf auf, ja?«, spöttelte der Beifahrer. »Weißt du, wo du es sicher verstauen kannst?«
»Das ist brisantes Material«, betonte der andere Agent und musterte Frank im Rückspiegel.
Der junge Mann nickte bestätigend.
»Bei mir kommt fast niemand vorbei«, sagte er. »Es besteht keine Gefahr.«
Der Beifahrer warf seinem Kollegen einen vielsagenden Blick zu.
»Niemand?«
Er strich über eine dünne Akte, die auf seinen Knien lag.
»Abgesehen von der kleinen Emerson … Mary Emerson. Ein hübsches Ding, mein Kompliment!«
Franklin erbleichte. Jetzt war es so weit, er wurde überwacht, verfolgt und unter die Lupe genommen, er und alle, die Teil seines Lebens waren. Das FBI würde seine groben, schmutzigen Pfoten in alle Bereiche seiner kleinen Welt ausstrecken. Das hätte er sich denken können.
»Glaubst du wirklich, dass du sie gut kennst, dieses Mädchen?«, fragte der Agent. »Manchmal erlebt man eine Überraschung, weißt du. Willst du mal einen Blick hineinwerfen?«
Und er hob mit niederträchtigem Grinsen Marys Akte hoch.
Sofort dachte Franklin, dass er sich lieber eine Hand abhacken als diesem Idioten seinen Arm entgegenstrecken würde. Das könnte ihm so gefallen. Er brachte Mary absolutes Vertrauen entgegen. Nie hatte er sich irgendjemandem so nahe gefühlt. Jedenfalls fand er es unanständig, die Privatsphäre eines anderen derart zu verletzen. Und außerdem war diese Mappe so gut wie leer. Der Agent bluffte.
»Geht zum Teufel! Okay? Alle beide!«
Die zwei Kerle lachten.
»Oh! Der kleine Frischling wird ja ganz rot …«
Frank zuckte mit den Schultern, packte seinen Ordner, stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. »Madams kleiner Frischling« oder nicht, morgen schon würde er von der Chefin verlangen, dass diese Rohlinge nicht mehr in seine Nähe kamen, nicht einmal um ihm zu sagen, wie spät es war.
Er ging ins Haus. Instinktiv sperrte er die Tür zu, um nicht unangemeldet gestört zu werden. Er ging zu seinem Anrufbeantworter. Eine einzige Nachricht von seiner Mutter aus Arizona. Sie hatte vom Verleger Dorffmann erfahren, dass er endlich einen Vertrag über einen Roman unterschrieben hatte. Na endlich!, seufzte sie. Sie beglückwünschte ihn auf ihre Weise. Nämlich dazu, dass er gut daran getan hatte, auf sie zu hören und endlich ernsthafte Dinge in Angriff zu nehmen.
Franklin erinnerte sich nicht mehr, ob es Chandler oder Hammett gewesen war, von dem der Ausspruch stammte, dass »ernsthafte Dinge in Angriff nehmen« nur Sinn machte, wenn man dabei seinen Kopf riskierte. Alles Übrige war nur Firlefanz. Heute verstand er, wie man so etwas schreiben konnte.
Die Nachricht seiner Mutter war zu lange, er brach vor dem Ende ab. Mit dem Ordner unter dem Arm stieg er in sein Arbeitszimmer hinauf und stellte ihn zwischen seine alte Schreibmaschine und den erst vor kurzem erstandenen Laptop, der ihm als Internetzugang diente. Er fischte eine große Büroklammer aus seinem Stifteköcher und steckte sie dann ins Innenleben der Remington 3B zwischen den Kugelkopf und das Farbband, um dort einen winzigen Schlüssel herauszufischen. Den Schlüssel, der die Fächer seines Schreibtisches öffnete.
Aus dem Innern des unteren Fachs holte er einen zweiten Aktenordner hervor. Auch dieser war prallgefüllt. Er enthielt die Ermittlungen über die vierundzwanzig Toten. Aufgeschrieben von Stu Sheridan und Amos Garcia seit dem 3. Februar. In vollem Umfang. Der Colonel hatte damit Franklins Wunsch entsprochen, als dieser sich bereit erklärt hatte, ihn zu unterstützen: »Sie dürfen mir nichts verheimlichen, ich will alles wissen!«
Der junge Mann ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Er betrachtete die schweren Papierquader, die nebeneinander auf seinem Tisch lagen. Er hatte jetzt das gesamte Material zu seiner Verfügung. Es war kaum zu glauben.
In einer Schublade daneben, die ebenfalls verschlossen war, ruhte das Manuskript seines Romans in Arbeit …
Der dicke schwarze Aktenordner des FBI sollte ihm helfen, seine letzten Wissenslücken über Boz zu schließen.
Nach dem Anruf von Boz im Verhörraum des FBI in Albany war allgemeine Hektik ausgebrochen. Welch ein Aufruhr!
Am anderen Ende der Leitung war eine ernste und langsame Stimme zu hören gewesen.
»Spreche ich mit Frank
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