Kein Entrinnen
Kollegen von Special Agent Melanchthon irgendwie zu irritieren: Sie strahlte eine derartige Entschlossenheit und Kälte aus, dass selbst der Boss des FBI sich oft wie ein Nichts vorkam, wenn er sich mit ihr unterhielt.
Colby und O’Rourke waren zwei Kraftpakete in dunklen Anzügen. Zwei stumme Muskelprotze.
Sheridan lächelte.
»Patricia Melanchthon … Wir haben uns nicht mehr gesehen seit dieser stürmischen Besprechung vom 3. Februar.«
Er wandte sich an Franklin.
»Ich habe Ihnen von den dreien hier erzählt. Sie sind noch am Morgen der Entdeckung der vierundzwanzig Leichen am Militärflughafen von Sheffield aufgetaucht. Die Nachrichtensperre, die Informationssperre, der Abtransport der Leichen, das war ihr Werk.«
Sein Lächeln wurde noch ein wenig breiter.
»Wir müssen auf der richtigen Spur sein, wenn Sie auf diese Art wieder auftauchen!«
Die Frau machte langsam eine zustimmende Kopfbewegung.
»Sie sind ein hartnäckiger Ermittler, Sheridan. Und Sie haben Ergebnisse vorzuweisen.«
»Kennen Sie etwa meine dienstliche Beurteilung, wenn Sie das so unumwunden zugeben? Das sieht Ihren Kollegen vom Bureau aber gar nicht ähnlich.«
Sie stimmte ein zweites Mal durch Kopfnicken zu.
»Aber Colonel, wir sind immerhin seit zwei Monaten hinter Ihnen her. Meine Männer verfolgen Sie auf Schritt und Tritt, seitdem Sie die alte Tante von Amy Austen in Stewartstown ausgequetscht haben.«
Sheridans Lächeln erstarb und er riss die Augen auf. Nie hatte ihn auch nur der leiseste Verdacht einer Beschattung beschlichen. Im Gegenteil, er hatte geglaubt, er wäre dem FBI auf der Spur!
Melanchthon setzte sich ihm schräg gegenüber mit einer Pobacke auf dem Tisch. Sie verschränkte die Hände auf ihrem Schenkel.
»Dank Ihrer Hilfe haben wir ganz neue Fakten über die Identität der vierundzwanzig erfahren. Danke. Sie sind schnell und Sie können kombinieren. Sie sind ein hervorragender Profi. Allerdings sollten Sie sich vielleicht etwas mehr Gedanken darüber machen, wer Sie beschattet.«
Sie befanden sich in einem großen, aber schlecht beleuchteten Raum ohne jede Resonanz. Die Wände waren mit Teppichboden ausgekleidet und dämpften den Schall, um eine gute Qualität der Tonaufnahmen bei Verhören zu gewährleisten. Zwei Wände bestanden aus großen Spiegeln ohne Zinn. Einwegspiegel, hinter denen sich die Beobachter eines Verhörs verbergen konnten. Nur war jetzt die Beleuchtung der beiden rückwärtigen Zellen heller als die in dem großen Raum, so dass die Verspiegelung nicht mehr funktionierte. Franklin sah durch die Scheiben, dass die Räume dahinter leer waren. Niemand überwachte sie. Das augenblickliche Gespräch war exklusiv.
Letzten Endes war der Professor eher erleichtert darüber, dass er sich in der Gewalt des FBI befand. Er hatte zunächst befürchtet, er wäre den Schergen von Ben O. Boz in die Hände gefallen und ihm damit jetzt schon ausgeliefert.
»Jedenfalls hatten Sie Recht damit, dass Sie sich nicht von Ike Granwoods Palaver letzten Februar beeindrucken ließen. Wir haben alle davon profitiert.«
Sheridan zuckte die Schultern.
»Freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte … Jetzt sind Sie an der Reihe, stimmt’s?«
Plötzlich hatte er einen aggressiven Ton angeschlagen, vermutlich war es ihm unangenehm, dass er dem FBI auf den Leim gegangen war.
»Was wird hier eigentlich gespielt?«, bohrte er nach. »Wozu solche Methoden? Sie hätten uns ernsthaft verletzen können.«
»Das scheint mir doch auf der Hand zu liegen: Sie mischen sich widerrechtlich in eine unserer Ermittlungen ein, Colonel.«
»Die vierundzwanzig Leichen von der Baustelle, meinen Sie das?«
Melanchthon hob die Augen zum Himmel und machte dazu eine Handbewegung, als wollte sie die Flut von Fragen eines Menschen zurückhalten, der vollkommen den Verstand verlor.
»Die vierundzwanzig?«, fragte sie. »Diese Opfer sind nichts weiter als eine Nebensächlichkeit für uns. Wir pfeifen darauf. Der Einzige, der uns interessiert, aber das wissen Sie ja bereits, ist Boz.«
Zu ihren besonderen Talenten gehörte es, Kunstpausen einzulegen. Ein bedeutungsschwangeres Schweigen lastete auf ihren Worten.
Der Colonel und die FBI-Frau beherrschten das Gespräch. Colby und O’Rourke blieben bloße Zuschauer, und der Literaturprofessor konnte nicht fassen, was er erlebte. Vor wenigen Tagen hatte er sich noch dazu beglückwünscht, dass er - vielleicht - Einblick in eine polizeiliche Ermittlung erhalten würde, und nun war er
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