Kein Entrinnen
andere wesentliche Enthüllungen gemacht. Wir stecken jedenfalls mitten in einer Inszenierung von Boz. Er bereitet etwas vor, er setzt seine Bauern, er benutzt das FBI und das FBI benutzt uns. Sie.«
Franklin blieb stumm.
»Ein einziger Punkt an dem Ganzen hat mich amüsiert«, fuhr Sheridan fort. »Wissen Sie, warum das FBI sich so viel Zeit gelassen hat, bevor es meine ersten Nachforschungen über den Schriftsteller unterband?«
Franklin antwortete, er habe keine Ahnung.
»Diese Schwachköpfe haben gehofft, ich könnte sein nächstes Opfer sein!«
»Wieso das?«
»In einer Notiz heißt es, dass Boz in jedem seiner Bücher eine andere Art von Opfer wählt. Der Schreiberling des Papiers hat minutiös dargelegt, dass Boz sich in seinem gesamten Werk noch nie an einem Beamten der Staatspolizei vergriffen hat. Also dachten sie, er würde über mich herfallen. Sie hofften, die Zielscheibe des Mörders einmal vorher zu kennen und ihn auf frischer Tat zu ertappen!«
»Das ist unglaublich.«
»Nach zwei Monaten, als ich Sie mit hineingezogen habe, haben sie diesen Ansatz fallengelassen. Zu riskant. Sie waren durchaus bereit, das Leben eines Cops aufs Spiel zu setzen, aber nicht das eines Zivilisten.«
Franklin überlegte. Sein Gesicht verdüsterte sich.
»Aber ich habe Boz’ Bücher auch gelesen … Er hat auch noch nie einen Literaturprofessor ins Visier genommen.«
Sheridan nickte.
»Das Gleiche denke ich auch.«
»Sie glauben, ich könnte die Zielscheibe sein?«
»Die Zielscheibe … oder das Alibi.«
»Das Alibi?«
»Weil er, wie es scheint, dabei so besonders einfallsreich ist … Wir sind vielleicht nur eine weitere Spielerei für Ben O. Boz.«
Auf der nächsten Versammlung des FBI platzte Franklin ohne Vorwarnung mit Sheridan hinein. Patricia Melanchthon wollte empört protestieren, doch der Professor setzte unverzüglich zu einer langen Attacke an. Schonungslos konfrontierte er die Agentin, unterstützt vom Colonel, mit allem, was sie erfahren hatten.
»Sie wollten nie, dass ich Ihnen helfe, sondern Sie wollten mich nur benutzen! Kommt gar nicht infrage, dass ich unter diesen Umständen weitermache.«
Melanchthon zuckte nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen herrschte sie Sheridan an.
»Sie werden Ihre Karriere hinter Gittern beenden, Colonel. Vergehen gegen Bundesgesetze und Behinderung des FBI, Zurückhaltung von Informationen, das kann Ihnen zehn Jahre bringen!«
Franklin platzte der Kragen.
»Wenn ihm irgendetwas passiert, dann können Sie einen Schlussstrich unter Ihre Operation Boz ziehen. Sehen Sie zu, wo Sie einen neuen Maulwurf aufgabeln!«
Das konnte sich Melanchthon seiner Vermutung nach nämlich nicht mehr erlauben. Franklin war das einzige Instrument, das sie je gegen Boz in der Hand gehabt hatte. Zudem hatte sie die von Ike Granwood bewilligten Budgetaufstockungen nur aufgrund seiner speziellen Fähigkeiten herausgehandelt. Ein Rückzug seinerseits würde ihr eine schreckliche Blamage einbringen.
Die Frau blieb unbeeindruckt.
»Was schlagen Sie vor?«, fragte sie.
Sheridan hatte Franklin vorhergesagt, dass die Diskussion so beginnen würde.
»Sie erzählen uns alles über Boz«, sagte Franklin. »Über seine Kontakte! Über alles Übrige. Und ab sofort schicken Sie Miss Wang und ihre psychologischen Theorien in die Wüste und lassen mich handeln und Boz auf meine Weise steuern!«
»Sie?«
»Der bescheidene Professor, der ich bin, glaubt trotzdem, dass er eine Idee hat, wie man den Schriftsteller in die Falle locken könnte. Das passt vielleicht nicht in Ihre protokollarischen Schablonen, aber es kann funktionieren. Zu diesem Zweck müssen Sie mir etwas in die Hand geben. Etwas, das mit Boz zu tun hat, mit seinen augenblicklichen Machenschaften, und das ich absolut nicht wissen sollte. Geben Sie mir etwas, womit ich handeln kann. Verstehen Sie mich?«
In Melanchthons Gesicht regte sich kein Muskel.
»Ich verstehe Sie sehr gut.«
Eine Stunde später saßen sie alle drei in einem Flugzeug des FBI mit Richtung Virginia.
Die vierundzwanzig sterblichen Hüllen von der Baustelle in Concord waren auf der Militärbasis von Cornwallis in der Nähe von Elizabethtown, an der Grenze zwischen Virginia und North Carolina, bewacht von der Armee und vom FBI, in Kühlfächern gelagert.
Melanchthon und ihre Gäste erschienen in dem Hochsicherheitsgebäude im Labor für Leichenmedizin.
Der Autopsiesaal lag im Halbdunkel. Das Mobiliar bestand aus chirurgischen Bestecken,
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