Kein Friede den Toten
konzentrierte sich auf das Nummernschild.
MLH-472.
Derselbe Wagen, den er vor dem Büro gesehen hatte.
Matt versuchte, normal weiterzuatmen. Vielleicht war das Ganze nur ein Zufall. Wenn man in Ruhe darüber nachdachte, war die Wahrscheinlichkeit gar nicht so gering. Man konnte demselben Wagen zwei Mal an einem Tag begegnen. Schließlich war er nur knapp einen Kilometer von seinem Büro entfernt. Das Viertel hier war ziemlich dicht besiedelt. Keine große Sache.
An einem normalen Tag – korrigiere: An so ziemlich jedem anderen Tag – hätte Matt sich von seinen Argumenten überzeugen lassen.
Heute nicht. Er zögerte kurz. Dann ging er mit zügigen Schritten auf den Wagen zu.
»Hey«, rief Milo. »Wo wollen Sie hin?«
»Lad einfach weiter aus, Großer.«
Matt hatte noch keine fünf Schritte zurückgelegt, als die Vorderräder des Ford Taurus eingeschlagen wurden und der Wagen sich in Bewegung setzte. Matt beschleunigte seinen Schritt.
Ohne Vorwarnung machte der Taurus einen Satz nach vorn und kreuzte die Straße. Die Rückfahrscheinwerfer gingen an, und der Wagen setzte zurück. Offenbar wendete der Fahrer. Die Bremslichter leuchteten auf, und der Fahrer kurbelte hastig am Lenkrad. Matt war nur noch wenige Schritte von der Heckscheibe entfernt.
»Halt!«, rief Matt – als würde das etwas nützen – und fing an zu rennen. Er sprang vor das Auto.
Fehler.
Die Reifen erwischten ein paar kleine Steine, quietschten kurz, dann schoss der Wagen auf ihn zu.
Der Fahrer bremste nicht. Er hielt ohne zu zögern auf Matt zu. Matt sprang zur Seite. Der Taurus beschleunigte. Matt lag jetzt quer in der Luft. Die Stoßstange traf seinen Knöchel. Brennender Schmerz erfüllte den Knochen. Die Wucht schleuderte Matt mitten im Flug herum. Er landete auf dem Gesicht und rollte noch ein Stück weiter. Am Ende lag er auf dem Rücken.
Ein paar Sekunden lang schaute er blinzelnd in die Sonne. Die Leute sammelten sich um ihn herum. »Alles in Ordnung?«, fragte jemand. Er nickte und setzte sich auf. Er prüfte seinen Knöchel. Geprellt, aber nicht gebrochen. Jemand half ihm auf die Beine.
Die ganze Angelegenheit – von der Entdeckung des Wagens bis zu seinem Sprung zur Seite – hatte vielleicht fünf oder zehn Sekunden gedauert. Länger auf keinen Fall. Matt starrte ins Nichts.
Irgendjemand hatte ihn beschattet – wenn nicht noch mehr.
Er sah in der Tasche nach. Das Handy war noch da. Er humpelte zu Evas Wohnung zurück. Pastorin Jill und ihre Söhne waren verschwunden. Mit Eva war alles in Ordnung. Dann ging Matt zu seinem Wagen und atmete tief durch. Er überlegte, was er tun sollte. Der erste Schritt war ziemlich klar.
Er wählte ihre Privatnummer. Als Cingle sich meldete, fragte er: »Bist du im Büro?«
»Ja«, sagte Cingle.
»Ich bin in fünf Minuten bei dir.«
6
Als die Mordermittlerin der Staatsanwaltschaft von Essex County, Loren Muse, ihre Wohnungstür öffnete, wehte ihr eine Wolke aus Zigarettenqualm entgegen. Loren genoss es. Sie blieb stehen und atmete tief ein.
Ihre Erdgeschosswohnung mit Garten lag an der Morris Avenue in Union, New Jersey. Die Sache mit dem »Garten« hatte sie nie ganz verstanden. Es war ein düsterer, kleiner Hof – nur Stein und Beton, ohne jedes Flair oder irgendwelches Grün. Dies war New Jerseys Variante der Vorhölle, ein Zwischenhalt, wo Leute auf dem Weg nach oben oder unten eine Weile Station machten. Junge Paare zogen hierher, bis sie sich ein Haus leisten konnten. Unglückliche Rentner kehrten hierher zurück, nachdem die Kinder flügge geworden waren und sie ihr Haus verkaufen mussten.
Und natürlich landeten hier auch alleinstehende Frauen an der Grenze zur alten Jungfernschaft, die zu hart arbeiteten und sich zu wenig amüsierten.
Loren war 34 Jahre alt, traf serienweise Verabredungen und brachte, um ihre auf der Couch herumliegende, kettenrauchende Mutter zu zitieren »das Geschäft nie zum Abschluss«. Das war ein Nebeneffekt ihres Daseins als Polizistin. Erst reizte ihr Beruf die Männer, sobald aber der Zeitpunkt nahte, wo sich aus einer Affäre eine Beziehung entwickeln könnte, machten sie sich aus dem Staub. Derzeit ging sie mit einem Pete aus, den ihre Mutter als »Totalversager« abgestempelt
hatte. Loren fiel es schwer, dieser Einschätzung begründet zu widersprechen.
Oscar und Felix, ihre beiden Katzen, ließen sich nicht blicken, aber das war normal. Ihre Mutter, die liebliche Carmen Valos Muse Brewster, lag ausgestreckt auf der Couch und
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