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Kein ganzes Leben lang (German Edition)

Kein ganzes Leben lang (German Edition)

Titel: Kein ganzes Leben lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Benke
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gekostet haben? Es war nicht seine Art, anderen den Vortritt zu lassen. Anna war überrascht.
    „Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fragte Paul.
    „Ja, das hat es“, erwiderte sie nur und lächelte.

9. Kapitel
    „Ich möchte Laura sehen.“
    „Hast du heute Nachmittag Zeit?“
    „Ja, ich könnte mit ihr spazieren gehen.“
    „In Ordnung. Bis später.“
    „Anna?“
    „Ja.“
    „So kann es nicht weitergehen.“
    „Ich weiß.“
     
    Christiano schob den Kinderwagen durch den Park Sempione. Zärtlich betrachtete er das schlafende Engelsgesichtchen seiner Tochter. Es war sinnlos, sich zu wünschen, Geschehenes ungeschehen zu machen. Vergeudete Energie. Er steuerte auf die Bar Bianco zu, um sich ein Bier zu kaufen. An weißen Tischen saßen die Menschen sorglos in der Sonne. Er sehnte sich danach, hier sonntags mit Anna und Laura zu sitzen. Nachdem er ausgetrunken hatte, ging er zum Ententeich. Er nahm Laura auf den Arm. Ob sie schon die Enten sehen konnte? Was sie wohl dachte? Wenn ihr jemals jemand antun würde, was er ihrer Mutter angetan hatte, würde er den Kerl umbringen. Der Gedanke war ihm spontan durch den Kopf gegangen. Sein Magen krampfte sich zusammen. Sein Herz schlug schneller. Die Vorstellung erfüllte ihn mit Schmerz und Wut. Er setzte sich auf eine Bank und hielt die Wange von Laura an seine. Er wollte sie ganz nahe spüren.
    „Ich werde immer auf dich aufpassen“, murmelte er ihr ins Ohr. Sie quietschte, als sein Atem ihr Ohr streifte.
    Christiano starrte auf den See, hinter dem sich der Triumphbogen erhob. Kleine Wolken zogen über den Himmel.
     
    Lucrezia lag auf ihrem Bett und rauchte eine Zigarette. Der Aschenbecher neben dem Bett quoll über. Eine halb leere Flasche Wein stand dort. Es war erst Nachmittag, und sie war betrunken. Verdammter Christiano, verdammte Anna. Sie hatte sich die Finger verbrannt. Vielleicht war es unvermeidlich gewesen. Sie hätte die Zeichen besser deuten sollen. Der Brief, ihre wachsende Unruhe. Sie hatte das Spiel verloren. Ihr wurde schlecht. Sie schaffte es gerade noch ins Bad. Als sie sich erschöpft kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, fiel ihr Blick auf den Spiegel. Sie war blass, unter ihren Augen waren dunkle Ringe, ihr Haut war fleckig. Sie war am Ende und Christiano und Anna am Anfang von etwas Neuem. Bitterkeit stieg in ihr auf. Sie übergab sich noch einmal. Als sie ins Bett sank, schwor sie sich, nie mehr Alkohol zu trinken und sich nie mehr zu verlieben. Sie fiel in einen tiefen Schlaf. Die schrille Türklingel weckte sie am frühen Abend. Sie zog sich das Kissen über den schmerzenden Kopf.
     
    Es dämmerte, als Anna vor Lucrezias Haustür ankam. Die Straßen waren wie leer gefegt. Das Wasser des Kanals plätscherte leise. Es war ruhig. Sehr selten war es so ruhig in der Stadt. Anna zögerte einen Augenblick. Dann klingelte sie. Sie wartete. Nichts passierte. Sie klingelte noch einmal. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie wusste nicht, warum. Sie trat ein paar Schritte zurück und sah hoch zu Lucrezias Balkon. Die Vorhänge waren vorgezogen. Als sie sich abwenden wollte, nahm sie eine Bewegung wahr. Sie stutzte. Alles war ruhig. Hatte sie sich das eingebildet? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie eine Hand gesehen, die den Vorhang beiseitegeschoben hatte. Sie klingelte noch einmal. Wieder nichts. Ihr war unwohl zumute. Was, wenn Lucrezia etwas passiert war? Wenn sie tot in ihrer Wohnung lag? Vielleicht hatte ein Einbrecher sie überrascht. Solche Dinge passierten. Sie trat noch einmal ein paar Schritte zurück und sah zum Balkon hinauf. Das schabende Geräusch nahm sie erst wahr, als der Blumentopf von Lucrezias Balkon kippte. Wie gelähmt stand sie da und sah den Terrakottatopf auf sich zurasen. Im letzten Augenblick warf sie sich zur Seite. Der Topf zerschellte neben ihrem Kopf in tausend Scherben. Eine Scherbe traf sie am Arm. Den Schmerz nahm sie erst nicht wahr. Der Schock war zu groß. Sie rappelte sich auf. Sie klopfte den Straßenstaub von ihren Jeans. Ihr Herz raste. Fassungslos sah sie zu dem Balkon hinauf. Dort war alles ruhig. Wie hatte das passieren können? Es ging kein Wind. Was für ein Glück sie gehabt hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass es dunkel geworden war. Sie fröstelte. Sie griff nach ihrer Handtasche und eilte den Kanal hinauf zur Hauptstraße. Erst als sie im Taxi saß, ließ der Schock nach. Augenblicklich schmerzten alle ihre Knochen. Ein Blutrinnsal lief über ihren Arm. Sie wischte sich das Blut

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