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Kein ganzes Leben lang (German Edition)

Kein ganzes Leben lang (German Edition)

Titel: Kein ganzes Leben lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Benke
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außerdem hatten sie einen Schlüssel. Sie öffnete die Tür. Dort stand Christiano mit einem Koffer und lächelte sie an.
    „Was tust du hier?“, stammelte Anna.
    Christiano machte Anstalten, sich an ihr vorbeizudrücken, doch sie versperrte ihm den Weg.
    „Was willst du mit dem Koffer?“
    „Ich dachte, ich meine, gestern waren wir doch ...“ Christiano verstummte.
    „Ich bin noch nicht soweit und weiß auch nicht, ob ich es jemals sein werde.“
    „Aber gestern ... Hat das denn gar nichts zu bedeuten?“ Er sah sie ratlos an.
    „Schon, aber ich weiß nicht, was. Ich werde für ein paar Tage nach Hamburg fahren. Ich brauche noch Zeit.“
    „Wie lange?“
    „Solange ich will.“
    „Anna, so geht das nicht weiter.“
    „Oh doch, so geht das“, brauste Anna auf, „was gestern passiert ist, heißt noch lange nicht, dass ich alles vergessen habe.“
    „Vergessen nicht, aber vielleicht vergeben.“
    „Vergiss es. So gut bist du nicht.“ Damit knallte sie Christiano die Tür vor der Nase zu. Sie schickte sich an, in die Küche zu gehen, als es wieder schellte.
    Sie riss die Tür auf.
    „Was willst du noch?“
    „Dass Helene diese Rechnung bezahlt.“ Er hielt ihr eine Hotelrechnung unter die Nase.
    „1100,25 Euro“, las Anna laut vor. Sie sah ihn an.
    „Das ist lächerlich. Sie ist nur eine Nacht geblieben.“
    „Zwei Flaschen Dom Pérignon, Blini mit Beluga-Kaviar, zwei Aromatherapiemassagen, eine Cellulitebehandlung“, las Christiano vor.
    Anna riss ihm die Rechnung aus der Hand.
    „Schon gut. Das werde ich begleichen, du Geizhals.“ Dann knallte sie die Tür wieder zu.
    „Von meinem Geld“, murmelte Christiano und nahm resigniert seinen Koffer wieder in die Hand.
     
    Anna lief am Strand entlang. Sie stupste einen Ast mit dem Fuß vor sich her, bis er sich im Farn verfing. Sie sah auf die Elbe und folgte mit dem Blick einem Schiff, das stadteinwärts fuhr. Die Bugwellen liefen sanft am Strand aus. Eine Möwe tauchte in das Wasser und flog mit ihrer Beute davon. Tief atmete sie die frische Luft ein, Bergluft nach dem Mailänder Smog. Sie bückte sich nach einem flachen Stein und ließ ihn über das Wasser springen.
    Zu Hause konnte an vielen Orten sein, Heimat war nur hier, schoss es ihr durch den Kopf.
    Sie war wieder das große, magere Mädchen, das alle Bohnenstange nannten. Viele Freunde hatte sie nicht gehabt.
    „Du bist zu dünn. Du bist eine Streberin. Du hast keine Eltern.“ Erst als sie auf das Internat kam, hatte es sich geändert. Aus der Bohnenstange war eine schlanke, schöne Frau geworden. Selbst für den Norden war sie außergewöhnlich hell.
    „Du bist ein Engel. Du bist intelligent. Du wächst bei deiner Großmutter auf, nicht bei spießigen Eltern.“
    Anna hielt ihr Gesicht in den Wind. Sie öffnete ihren Pferdeschwanz, ließ sich das Haar zerzausen, atmete die Freiheit ein. Wenn sie an die Nacht mit Christiano dachte, lächelte sie unwillkürlich, wenn sie an die Geburt von Laura dachte, verspürte sie Mordlust. Konnte man jemanden gleichzeitig hassen und lieben? Wofür sollte sie sich entscheiden? Konnte sie sich überhaupt entscheiden? Würde sie ihm jemals vergeben können, jemals wieder trauen können? Könnte sie andererseits jemals aufhören, ihn zu lieben? Die Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Ihr wurde schwindelig, und sie setzte sich auf einen Stein. Wie sehr liebte sie das flache norddeutsche Land, ohne viele Schnörkel, einfach und ehrlich.
    Sie nahm ihr Handy und versuchte zum hundertsten Mal Lucrezia zu erreichen. Was war nur passiert? Sie hatte mit ihr seit dem Aperitif nicht mehr gesprochen. Anna hinterließ wieder eine Nachricht. Eine seltsame Vorahnung befiel sie. Doch bevor sie sie greifen konnte, entglitt sie ihr. Anna stand auf und machte sich auf den Heimweg. Nach einem kurzen Spaziergang tauchte auf einer kleinen Anhöhe ein umzäuntes Grundstück auf. Früher hatte man von hier die Villa sehen können. Jetzt war der Park zugewachsen. Sie ging einen kleinen Pfad hinauf. Das Gras stand hoch.
    Hier müsste mal wieder gemäht werden, dachte sie. Als sie das kleine Tor öffnete, das in den Park führte, quietschte es. Der Park erinnerte an einen Dschungel. Das dichte Blätterwerk der alten Bäume war lange nicht mehr gestutzt worden, das Gras stand kniehoch. Sie kam an dem Gartenhäuschen vorbei. Die blinden Fenster verwehrten den Blick nach innen. Sie versuchte erfolglos, die Tür zu öffnen.
    Manche Dinge sollte man ruhen lassen, dachte Anna und

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