Kein ganzes Leben lang (German Edition)
mit einem Taschentuch ab. Ihre Hand zitterte.
Diese Nacht schlief Laura schlecht, sodass Anna sich nicht von dem Unfall erholte. Gegen drei Uhr morgens holte sie Laura in ihr Bett. Dort schlief sie endlich ein. Nur lag Anna jetzt hellwach in ihrem Bett. Sie fand keine Position, in der ihre Knochen nicht schmerzten. Die Wunde an ihrem Arm pochte. Sie würde am nächsten Morgen zum Arzt gehen. Sie sehnte sich nach Christiano, vermisste selbst sein leises Schnarchen. In den frühen Morgenstunden schlief sie endlich ein, nur um kurz darauf von Laura geweckt zu werden. Völlig gerädert saß sie in der Küche, als Shaban zur Tür hereinkam.
„Mein Gott, Signora, wie sehen Sie denn aus?“
Sie erzählte ihr, was passiert war.
„Das ist gefährlich. Deshalb soll man Blumentöpfe an der Balkoninnenseite befestigen.“
„Jetzt ist mir das auch klar. Ich werde meine Freundin darauf hinweisen, wenn ich sie jemals wieder erreiche.“
Anna rief beim Hausarzt an und bekam kurzfristig einen Termin. Die Ärztin versorgte ihre Wunden und gab ihr ein Schmerzmittel. Zu Hause legte sie sich ins Bett und fiel in einen tiefen Schlaf. Nachmittags weckte sie das Piepen ihres Handys. Mit einem Male war sie wach. Die Nachricht war von Lucrezia.
„Tut mir leid, Liebes, dass ich mich nicht gemeldet habe. Ich bin auf Sizilien und hatte mein Handy verloren. Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin, und erkläre dir alles. Kuss, Lucrezia.“ Etwas beruhigt legte sie das Handy auf ihren Nachttisch. Das erklärte einiges.
Sie kam nicht dazu, sich Gedanken zu machen. Denn da piepte ihr Handy wieder. Sie las Christianos Nachricht. Ihre Hand zitterte, als sie das Handy sinken ließ.
Dort stand: „Und wenn wir ganz von Neuem anfangen?“
Ihr Herz klopfte. Sie überlegte kurz, kaute auf ihrem Fingernagel herum und schrieb schließlich: „Wie?“
„Mit einem ersten Date“, kam prompt zurück.
Für einen kurzen Augenblick ertrank sie in einem Meer aus Zweifeln und Ängsten. Doch mit einem Ruck schoss sie an die Oberfläche und schrieb: „Wann?“
„Heute Abend an der Bar meines Hotels. Ich kann es kaum erwarten.“ Ihre Hand war ruhig.
Anna stieg in das wartende Taxi und nannte dem Taxifahrer die Adresse.
„In Ordnu...“ Er starrte sie an.
„Ist etwas?“ Anna strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Nein, ich habe nur noch nie einen Engel chauffiert.“ Er rieb sich die Augen. Ihr weißblondes Haar fiel ihr glatt über die Schultern. Ihre Haut schimmerte wie Perlmutt, ein Hauch Rosa war auf ihren Wangen. Ihre Augen glänzten mitternachtsblau. Sie war nur wenig geschminkt. Ihr cremefarbenes Kleid war schlicht. Es hatte längere Ärmel und verdeckte den Verband am Arm. Anna fühlte sich wohl in ihrer Haut. Sie war sich selber treu geblieben.
Anna lächelte. „Danke“, sagte sie schlicht.
Der Taxifahrer erwiderte ihr Lächeln und wandte sich wieder der Straße zu.
Als sie die Stufen zu dem Eingang hinaufstieg, atmete sie tief ein. Sie war nervös. Ein Portier öffnete ihr die Tür. Ein ausladender Lüster ließ die hohen Decken der Eingangshalle erstrahlen. Die Lichter glitzerten in dessen unzähligen Kristallzapfen. Ein älteres Paar drehte sich nach ihr um. Der Mann trug einen dunklen Anzug, seine Frau ein leichtes Abendkleid. Sie war bei ihm untergehakt. Anna hatte sich lange nicht mehr so wohl in ihrer Haut gefühlt.
Selbst ihre blauen Flecke spürte sie nicht mehr. Als sie den Barbereich betrat, sah sie Christiano sofort. Er saß auf einem Barhocker. Vor ihm stand ein Getränk. Ohne zu sehen, was es war, wusste sie, dass er einen Negroni trank. Für einen Augenblick beobachtete sie ihn unbemerkt. Sein Designeranzug saß perfekt, ebenso sein Haar. Wieder fielen ihr die vielen grauen Strähnen auf. Die letzten Wochen hatten auch bei ihm Spuren hinterlassen. Sie verspürte den Drang, ihn zu umarmen.
Christiano sah auf die Uhr. Es war schon nach neun. Und wenn sie nicht kam? Wenn sie es sich anders überlegt hatte? Wieder befiel ihn diese Verlustangst. Wenn Anna ihn verließ, würde er den Halt verlieren, der ihm Sicherheit gab. Für einen Augenblick war ihm schwindelig, und er war froh, dass er saß. Er trank einen Schluck von seinem Negroni. Das starke Getränk tat seine Wirkung. Die Wärme in seinem Magen gab ihm falsche Zuversicht. Eine Bewegung neben ihm ließ ihn aufschrecken.
„Ist der Platz noch frei?“
Er sah auf und blinzelte. Anna stand vor ihm. Für einen kurzen Augenblick verschlug es
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