Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
durch die dunkelsten Boutiquen der Reeperbahn gezogen war auf der Suche nach neuen Verführungsutensilien. Sie war es, die mir die besten Seiten im Internet gezeigt hatte, auf denen man sich austauschen konnte, ohne erkannt zu werden. Und schließlich war auch sie es, die mich mit in den Swingerclub genommen hatte. Zugegeben, ich hatte nur an der Bar gesessen und mich über meine eigene Naivität gewundert, aber spannend war es trotzdem gewesen. Seitdem wusste ich, dass in Wohnungen, wo »Schmidt« an der Klingel stand, nicht immer auch Schmidt drin war. Und ausgerechnet die Frau, die mir die Tür in die Welt der Verführung und Erotik geöffnet hatte, hielt ihre eigene anscheinend seit mehr als einem Jahr verschlossen.
»Wann denn, Charly?«
»Wie, wann denn? Nachts zum Beispiel?«
»Also hör mal, das geht ja nun überhaupt nicht. Die Kleine schläft doch bei uns im Zimmer.«
Aha, da hatten wir das Problem.
»Na, dann schläft sie halt mal nicht in eurem Zimmer.«
»Das geht erst recht nicht.«
»Warum geht das erst recht nicht?«
Nun folgte ein Vortrag darüber, wie wichtig es sei, Kinder in der Nähe der Eltern schlafen zu lassen. Um genau zu sein: zwischen ihnen. (Ganz wichtig, damit sie nicht aus dem Bett fielen!) Mit vier oder fünf Jahren kämen sie dann in eine Phase, in der sie von sich aus den Wunsch verspürten, im eigenen Bett zu schlafen.
Ich versuchte, mir nichts von dem, was ich dachte, anmerken zu lassen, und das kostete mich enorm viel Kraft. Ich war nicht ohne Grund aus der Theater-AG geflogen. Ich war einfach eine miserable Schauspielerin.
Außerdem, holte Hanne aus, sei es auch total praktisch, dass Emma mit in ihrem Bett schlafe, weil sie dann nicht aufstehen müsse, wenn Emma schrie und etwas trinken wolle. Dann müsse sie halt nur kurz mal ihr Nachthemd hochheben.
»Charly …?« Hanne schaute mich fragend an.
»Emma schläft also nicht nur in eurem Zimmer, sondern auch in eurem Bett. Weil du es praktisch findest? Ich glaube, es ist extrem unpraktisch. Es sei denn, du möchtest als vertrocknete Feige enden. Wie wäre es denn, wenn du deinen Süßen mal tagsüber verführst, und ich drehe so lange mit Emma eine Runde an der Elbe.«
Ich zwinkerte ihr auffordernd zu. Was für ein Angebot! Ich sah meine Freundin schon, wie sie sich die halterlosen Strümpfe anzog, und dieses super verführerische schwarze Kleid mit dem tiefen Rückenausschnitt – ohne Unterwäsche.
»Ach, Charly, das ist total lieb von dir, aber das verstehst du nicht. Mir reicht es ganz ehrlich, den ganzen Tag mit Emma zu schmusen, da muss ich nicht noch abends mit Phillip …«
Stimmt, das verstand ich nicht, aber ich verstand plötzlich, dass sie von etwas zu viel hatte, wovon ich schon zu lange zu wenig hatte. Komisch. Das war schon immer so. Sie hatte immer von allem mehr als ich. Sie hatte bei den meisten Klausuren mehr Punkte, sie hatte während des Studiums mehr Geld und während unserer ersten Jobsuche mehr Angebote. Nun hatte sie mehr Augenringe als ich.
»Ich weiß auch nicht, warum ich einfach keine Lust mehr habe. Vielleicht sollte ich es mal mit Ginkgo versuchen. Aber eines weiß ich: Ich bin damit nicht allein, Charly. Das ist echt ein Thema! Glaub mir. Darüber solltest du morgens mal in deiner Sendung was bringen, statt über Asphaltlöcher im Ring 2. Was glaubst du, wie viele Frauen da anrufen, die sich alle etwas Schöneres vorstellen könnten als das .«
Mir fiel nichts mehr ein – und das sollte etwas heißen.
»Ich hätte ja auch gern noch ein Kind«, sie sah müde aus dem Fenster, »wenn man dazu nicht diese lästige Sache machen müsste. Na ja … Ich muss los. Die Kleine muss gleich wieder gestillt werden. War echt schön bei dir. Tschüss!«
Ich war geschockt. Das war doch nicht meine Freundin Hanne, die das eben gesagt hatte, oder?
Nachdem sie gegangen war, starrte ich noch eine Weile ratlos vor mich hin. Meine Güte, es war doch gar nicht so lange her, da standen wir zusammen vor diesem Dessousladen auf dem Kiez. Man brauchte eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein und ein bisschen Mut, um ihn zu betreten. Oder einen großen Hut. Den hatte ich zwar nicht, denn Hüte standen mir absolut nicht, und in dieser Situation hätte ich damit mehr Blicke auf mich gezogen als abgewendet, aber ich ging trotzdem mit Hanne rein, für die es nicht der erste Besuch war.
Jetzt saß ich hier mit meinem Wein. Er hatte einen längeren Atem als Hanne. Ich schenkte mir noch ein Glas ein.
Klar,
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