Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
untergegangen, und Leonardo und Kate blieb wirklich nicht mehr viel Zeit, da fingen die beiden über mir an, das zu tun, was die beiden auf dem Bildschirm nie wieder tun würden. Ein Jammer. Nicht nur für Kate und Leonardo. Auch für mich!
Ich wusste nicht, an welcher Stelle des Films es nun passierte, aber ich schlief ein. Daraufhin hatte ich einen dieser Träume, die so real waren, dass man überzeugt war: Das Ganze passierte wirklich. Ganz bestimmt. Man war hinterher wie betäubt, schleppte das Gefühl dieses Traumes den halben Tag mit sich herum und musste sich immer wieder sagen: Es war doch nur ein Traum!
In diesem Fall hatte ich geträumt, ich hätte eines dieser Babytragetücher um den Oberkörper gewickelt und würde darin ein relativ schweres, aber anscheinend schlafendes Wesen mit mir herumtragen, während ich an der Alster spazieren ging. Ich war auf Höhe der Alsterperle, als es plötzlich, durch irgendetwas geweckt, seinen behaarten Kopf aus dem Tuch steckte und mich anbellte!
Ich konnte mich nicht daran erinnern, zuvor schon einmal schreiend aufgewacht zu sein.
Ich hätte ausgehen sollen, mich betrinken. Dann hätte ich zwar einen reellen Kater gehabt, aber nicht – wie im Traum – einen Hund vor der Brust.
*
Der Plan, mir selbst einen Latte macchiato ans Bett zu bringen und das Frühstück zwischen Krimis und Kissen einzunehmen, platzte, als ich am nächsten Morgen vor meinem leeren Kühlschrank stand und lediglich ein Glas Gewürzgurken und etwas alten Käse entdeckte.
Ich schlüpfte in meine Wohlfühlhose, von der er immer gesagt hatte, ich sähe darin aus wie eine Camping-Uschi, und machte mich auf den Weg zum Café Knuth. Dort konnte man getrost wie Uschi aufschlagen, denn Individualismus war hipp. Dass ich auch so herumlief, wenn es nicht hipp war, musste ja keiner wissen.
Vor ein paar Jahren war es das erste Café gewesen, das einem den Weg zur Schanze ersparte, weil es genau das bot, was fehlte: Man konnte hier frühstücken, zu Mittag essen, sich abends betrinken, und zwar unabhängig vom Wochentag. Und obwohl es schon lange eine immer größer werdende Auswahl an schönen Cafés in Ottensen gab, war das Knuth nach wie vor eines meiner Lieblingscafés. Leider nicht nur meines. Es war voll. Morgens, mittags, abends. So wie heute. Mütter, Muslime, Metrosexuelle, Möchtegernmanager, Randgruppen jeder Art. So wie ich. Frau ohne Freunde.
Ein Stimmengewirr prasselte auf mich ein, als ich die Tür aufdrückte. Das Knuth, das sich genau an einer Hausecke befand, hatte rechts und links große Fensterfronten, durch die man auf der einen Seite direkt auf den Hintereingang und die Rückseite des Einkaufszentrums sah. Dieser riesige Gelbklinker förderte den Charme dieses schönen Stadtteils, der ursprünglich einmal für seinen Individualismus bekannt gewesen war, nicht unbedingt.
Und um beim Thema zu bleiben: Auf dem Dach gab es keinen Platz für Autos, aber für einen Kindergarten! Platz zum Parken gab es hier grundsätzlich nicht. Das Problem wurde, genau wie das andere, stetig größer.
Ottensen war schon lange kein Geheimtipp mehr. Es war beliebt, nicht nur bei Autobesitzern und jungen Familien. Wobei das eine das andere natürlich nicht ausschloss.
Blickte man zur anderen Seite des Cafés aus dem Fenster sah man Mehrfamilienaltbauten. Die waren übrigens auch beliebt.
Im Grunde war Ottensen kein Stadtteil. Es war ein Lebensgefühl, und nach ein paar Jahren eine große Familie. Und zu dieser Familie gehörten sie alle: die Kinderwagenschieber, Turbanträger, Tangotänzer, Filmedreher, Yuppies, Yogalehrer und Bioobstverkäufer. Ottensen ließ sich in keine Schublade stecken, noch nicht. Hier gab es keine Perlenohrringe, die verrieten, dass man aus Blankenese kam, keine Rastas oder Irokesen-Haarschnitte, die zeigten, dass man gegen den Abriss der Flora war und für den Erhalt der Bauwagenplätze. Und genau diese Menschenmischung saß auf Hockern, Stühlen und Bänken verteilt vor mir im Café.
Ich scannte den Raum, und da – hinten links, drei Stufen rauf – war noch ein kleiner Tisch am Fenster in der Ecke frei. Glück gehabt.
Nachdem ich mir den zweiten Latte macchiato bestellt und das Abendblatt durchgeblättert hatte, blickte ich mit dem Rücken zur Wand in den Raum hinunter – was besser für das Qi, die Energie, war, wie meine Mutter immer wieder betont. Als ich all die jungen Menschen in Gespräche vertieft beobachtete, realisierte ich langsam, dass ich trotz Qi keine
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