Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
Vom Netzwerk:
konnte ich ihr Problem nicht verstehen. Ich hatte ja auch kein Kind. Dafür hatte ich Sex. Oder sagen wir mal: Ich hätte welchen haben können. Tagsüber, nachts, in meinem Bett, in der Küche oder wo auch immer! Unabhängig von Fütterzeiten, Zubettgehzeiten, Dreimonatskoliken, Erste-Zähne-kriegen-Zeiten. Und vor allem musste nicht erst ein Kind selbst auf die Idee kommen, dass es auch Spaß machte, alleine zu schlafen!
    Und: Ich konnte mich verabreden mit wem, wo und wann ich wollte.
    Ich könnte.
    Ich könnte jederzeit zur nächstbesten Dildo-Fee-Party gehen, ableckbare Schoko-Bodylotion kaufen, stimulierende Öle, Plüschhandschellen und mal wieder eine neue Korsage. Im Grunde …
    Was ich jedenfalls sagen wollte: Sex, weil man gerade Lust aufeinander hatte und sich vor Sehnsucht die Wäsche vom Leib riss, egal, ob von H&M oder La Perla, gab es nicht mehr. Übereinanderherfallen wie wilde Tiere und sich dann irgendwann schweißnass auf dem Boden irgendeines Zimmers wiederfinden? Vergiss es! Wer Kinder wollte, musste früh mit der Planung anfangen.
    So wie Birgit. Während ich noch auf dem Sofa lag – die Weinflasche war mittlerweile leer – und vor mich hin grübelte, riss eine SMS von ihr mich aus meinen Gedanken.
    Hallo Charly, habe dieses Mal ein gutes Gefühl! Weiß gar nicht, wie ich die nächsten zwei Wochen – bis zum Test – rumkriegen soll … Melde mich am besten gleich schon mal für einen Yogakurs für Schwangere an. Was meinst du? Schönes We! Lg, B.
    Schönes Wochenende? Die hatte gut reden.
    Ich sollte mal wieder für sie kochen. Am besten Mungbohneneintopf. Einer Studie zufolge bekamen Kühe, die auf Wiesen grasten, auf denen Mungbohnen wuchsen, seltener Kälber als andere Kühe.
    Ich versuchte, mich mit einer Tüte Chips von meinem Singledasein abzulenken, und redete mir ein, wie toll so ein Sofa doch war und wie viele Vorteile es doch hatte, wenn man es sich darauf gemütlich machen konnte, statt es sich teilen zu müssen. Und wie dankbar man sein musste, dass man überhaupt ein Sofa besaß. Dankbarkeit hin oder her – es klappte nicht.
    Und dann das: Im Fernsehen lief nichts, was man ertragen konnte. Mein Blick fiel auf mein Handy. Wenn wenigstens Günther, mein Chef, anrufen würde. Er hatte mir am Freitag, bevor ich ging, »angedroht«, mich am Wochenende anzurufen, falls Ole – ein neuer Kollege – sich bis dahin nicht von seiner Grippe erholt hatte und seine Radiosendung nicht moderieren konnte. Seitdem ich wieder alleine lebte, war Ole der erste Mann, der mich schon im ersten Moment, als wir einander in der Redaktion vorgestellt wurden, daran erinnerte, dass ich trotz allem irgendwo ganz tief in mir drin doch auch eine Frau war. Vielleicht sollte ich eine kleine Recherche starten, um herauszufinden, ob es sich lohnen würde, die bequeme Schlabberhose gegen eine eng sitzende Jeans einzutauschen.
    Doch da ich in diesem Jahr, das gerade mal fast drei Monate jung war, schon mehr Überstunden hatte als alle anderen zusammen, lehnte Günther ab, als ich mich freiwillig anbot einzuspringen.
    Ich sah aus dem Fenster. Es regnete. Spontane Melancholie überfiel mich. Ich kramte alte Briefe raus und fing an zu lesen. Natürlich nur die, in denen mein Ex mir noch einmal alles zu erklären versuchte, was letztendlich nichts erklärte. Oder gab es eine Erklärung dafür, warum man im eigenen Bett fremdgehen musste, statt die Kollegin in einem Hotel oder ihrer eigenen Wohnung zu … Ich holte tief Luft, und weil es mir noch nicht reichte, holte ich auch noch die Todesanzeigen meiner verstorbenen Verwandtschaft aus dem Schuhkarton. So etwas machte ich wirklich nicht oft. Höchstens einmal im Monat.
    Die Trauer über diese Verluste überfiel mich, als hätten mich die Nachrichten erst in dieser Sekunde erreicht. Mit dem Schmerz, den nur jemand empfinden konnte, der gerade seine halbe Verwandtschaft und seine große Liebe auf einmal verloren hatte, schob ich eine DVD in den Rekorder, die mir meine Mutter zu Weihnachten geschenkt hatte. »Titanic«. Als ich den Film Weihnachten ausgepackt hatte, hatte ich danach auf den Anhänger mit meinem Namen am Geschenkpapier gestarrt. Obwohl es ja niemanden sonst gab, für den es hätte sein können, schließlich waren wir zu zweit. Doch ich hatte sichergehen wollen, dass es kein Versehen war. Dann hatte ich meine Mutter angestarrt. Warum in aller Welt hatte sie mir diese Schnulze geschenkt?
    Jetzt wusste ich es: für Abende wie diesen!
    Die Titanic war gerade

Weitere Kostenlose Bücher