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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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tief Luft. »Weil man das so gut wieder aufwärmen kann.«
    Wir lachten beide los.
    Als wir uns beruhigt hatten, hörte ich, dass jemand an Ilkas Haustür klingelte.
    »Oh, ich muss an die Tür. Tschüss!«, hörte ich sie noch rufen, dann hatte sie auch schon aufgelegt.
    Die Frau mit dem hysterischen Kind hatte ihre Karre geparkt, sich anscheinend etwas am Tresen bestellt und war – ohne Kind – Richtung Toilette verschwunden. Das hätte sie nicht tun sollen. Ihre immer noch tobende Tochter hatte anscheinend starkes Verlangen nach ihr, lief nun auch zu den Toiletten, öffnete erst die Tür des Damen-WCs – auf die man von meinem Platz aus eine gute Sicht hatte – und anschließend die der ersten Toilette, auf die man schaute, wenn man das WC betrat. Aus unerfindlichen Gründen hatte die Arme die Tür nicht von innen verriegelt, wie sich jetzt herausstellte. Zu spät. Die beiden tauschten spontan die Rollen.
    Die Mutter – ich konnte sehr gut erkennen, wie sie sich den Rock hochhob und dabei das Toilettenbecken anpeilte – wurde plötzlich hysterisch und schrie ihre Tochter an: »Wilhelmine, mach sofort die Tür zu!« Erst nicht ganz so laut, damit es niemand mitbekam. Es war eher ein leises Zischen, das sich bald zu einem bundeswehrähnlichen Befehlston steigerte. »Du machst auf der Stelle die Tür zu!!!«
    Wilhelmine dachte nicht im Traum daran, bekam plötzlich richtig gute Laune und fing an zu singen: »Mama macht Pipi ! Mama macht Pipi !«
    Bei dem Namen würde ich auch nicht gehorchen.
    Schade, dass Ilka das nicht sehen konnte. Vielleicht würde sie sich das mit dem Kind dann doch noch mal überlegen. Obwohl? Sie würde es vermutlich »süß« finden. Das beste Indiz dafür, dass alles zu spät war.
    *
    E s war erst zwölf Uhr. Ich musste noch den ganzen Sonntagnachmittag rumkriegen, bis ich endlich wieder arbeiten gehen konnte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen die Wochenenden nicht genug Stunden haben konnten, und jeder, die verging, wurde hinterhergetrauert. Aber das war lange vorbei.
    Meine Laune sank. Damit es mir niemand ansah und mich erst recht niemand erkannte und eventuell auch noch darauf ansprach, setzte ich meine große dunkle Sonnenbrille auf, die fast das gesamte Gesicht abdeckte. Das Gute daran: Keiner sah mich. Das Schlechte: Ich sah alle anderen.
    Ich zahlte und ging. Nur wohin?
    Hafenrundfahrt? Hafencity? Ich war zu faul und beschloss, eine Runde im Elbpark zu spazieren, um das Gefühl zu haben, ich hätte mich bewegt. Es sollte ja Leute geben, die behaupteten, das sei gesund. Eine Unmenge Kinderwagen mit Anhang fuhren in den knappen fünfzehn Minuten, die ich bis zum Elbpark brauchte, an mir vorbei. Ich wollte ja nicht hinsehen, aber was sollte ich denn tun?
    Irgendetwas schiebt man immer, dachte ich. Den Puppenwagen, den Kinderwagen, den Einkaufswagen, den Hackenporsche, die Gehhilfe.
    Ich schob nichts und stellte dabei auch schnell einen weiteren Unterschied fest: Kinderwagenschieber waren so gut wie nie allein. Sie trafen sich gern in kleinen Gruppen zu zweit oder zu dritt, mehr allerdings auch nicht. Drei passten gerade noch knapp nebeneinander auf den Fußweg, vier nicht. Das Schieben des Kinderwagens, das hatte ich begriffen, war das beste Zeichen dafür, dass der Schieber oder die Schieberin die Phase des Freundeskreis-Tauschprozesses schon hinter sich hatte. Alte Freunde wurden gegen neue Freunde eingetauscht. Der erste Kontakt entstand bei Geburtsvorbereitungskursen, weiter ging es dann im Krankenhaus. Und wer hier noch niemanden gefunden hatte, mit dem er sich treffen und austauschen konnte, der fand dann spätestens beim Rückbildungskurs oder auf dem Spielplatz jemanden. Der Spielplatz war eine Art Suchmaschine, eben nicht nur für die Kleinen.
    Eine Suchmaschine für die »Hinterbliebenen« der frisch gebackenen Eltern gab es noch nicht. Wahrlich eine Marktlücke, denn für die Mitglieder des alten Freundeskreises boten sich nicht ganz so viele Möglichkeiten, oder ich hatte sie bisher noch nicht entdeckt.
    Traf man seine Freunde irgendwann nach der Geburt des »Muckelchen« wieder, passierte etwas Seltsames: Während früher ausschließlich von Leuten geredet wurde, die beide Gesprächspartner kannten, da es gemeinsame Freunde oder Bekannte waren, wurde jetzt plötzlich von Leuten berichtet, die man gar nicht kannte. Woher denn auch?
    »Ach, sorry. Kannst du ja nicht kennen. Die Petra, das ist die, die ich aus dem Meditationskurs für Schwangere kenne. Die ihren Sohn

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