Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Knistern in der Luft war ich kurz davor, ihn am Freitagnachmittag, als er gerade seine Sachen auf dem Schreibtisch zusammenpackte, zu fragen, was er am Wochenende vorhabe.
Aber tatsächlich auch nur kurz davor, denn ich war keine Königin im Ersten-Schritt-Machen. War das Angst vor einer Abfuhr? Vermutlich. Denn in solchen Momenten fiel mir – wie ein Warnhinweis – immer wieder der Moment der Erkenntnis ein.
Ich war Teenie, wochenlang verliebt und hatte wochenlang gedacht, er – der Sohn einer Freundin meiner Mutter – wäre es auch. War er aber nicht. Wir standen im Stau mitten auf der B75, weil eine Ampel ausgefallen war. Er hatte mich zurückfahren wollen, nachdem er mir in der Schule nach der letzten Stunde Mathenachhilfe gegeben hatte – was ich als klares, eindeutiges Zeichen interpretiert hatte. Das Angebot mit der Nachhilfe und das mit dem Auto natürlich auch.
Im Wagen fragte er schließlich: »Und jetzt?«
Und ich antwortete: »Ist das so eine Zu-mir-oder-zu-dir-Frage?«
Worauf er sagte: »Nein. Das ist so eine Kennst-du-einen-anderen-Weg-Frage!«
Ich lief dunkelrot an, wollte mich in Luft auflösen oder alternativ aussteigen. Seitdem machte ich nicht mehr den ersten Schritt, oder sagen wir mal, sehr selten.
*
Knistern hin oder her, ich hatte ja auch schon etwas vor am Wochenende. Jedenfalls machte ich mich wie geplant Samstagabend auf den Weg zum Süllberg. Im Jeansminikleid, was zwar so nicht geplant war, aber überraschenderweise passte. Wie angegossen sozusagen. Ja, okay, es war ein Kraftakt gewesen hineinzukommen, aber letztendlich hatte ich gewonnen. Die Frage, wie ich jemals wieder aus dieser Wurstpelle rauskommen sollte, würde eventuell der Griff zur Schere beantworten, oder man würde mich in diesem Ding beerdigen müssen, wenn es so weit war.
Ich besaß tatsächlich kein einziges Highlight. Vielleicht hatte mein Ex das an mir vermisst? Vielleicht hätte ich mich mal in Schale werfen müssen, statt abends in der Gemütlichkeitshose auf dem Sofa zu liegen. Vielleicht.
Jedenfalls musste ich auf dem Süllberg schneller als gewünscht feststellen, was ich eigentlich schon wusste: Alleine auf Veranstaltungen zu gehen war wie alleine auf dem Schulhof stehen. Es war doof.
Da Birgits Einladung nur einer Person galt, blieb mir nichts anderes übrig, als mich an die Bar zu stellen. Natürlich nur, um zu verhindern, dass man mich mit dem Personal verwechselte. Und natürlich weil man dort allein nicht so auffiel. Oder wie sollte man sonst in dieser Masse von Paaren und Pärchen, Männern und Machos, Freundinnen und Feindinnen so tun, als wäre es das Normalste der Welt, ohne Begleitung hier zu sein? Es sollte ja auf keinen Fall so aussehen, als wäre ich auf der Suche.
Gegenüber dem Eingang, wo es jetzt immer voller wurde und sich die Reporter auf Menschen stürzten, die ich noch nie gesehen hatte, stand die Flügeltür offen. Ich ging hindurch und flanierte erhobenen Hauptes über die Terrasse, auf der inzwischen immer mehr Champagnergläser von immer mehr schönen Händen mit noch schönerem Schmuck gehalten, aneinandergestoßen und zu schönen Mündern geführt wurden.
Mir fiel auf, dass es auch jetzt, um acht Uhr abends, für Mitte Mai immer noch traumhaft warm war. Die Damen trugen, wonach ich verzweifelt gesucht hatte: sexy Kleider, lang, kurz, bunt, uni. Aber eines hatten die Damen alle gemeinsam: den Ausschnitt und den Schönheitschirurgen. Vermutlich war er ein steinreicher Mensch, so wie das hier aussah.
Ich schlenderte einmal quer über die Terrasse, ein paar Stufen runter, bis ans Geländer. Von hier aus hatte man einen faszinierenden Blick über die Elbe, mindestens zwanzig Kilometer weit, schätzte ich, bei so klarer Sicht wie an diesem Tag.
Ich war bereits beim dritten Drink, wofür ich letztendlich nichts konnte. Man hatte mir in regelmäßigen Abständen Tabletts unter die Nase gehalten. Anscheinend machte ich den Eindruck, als bräuchte ich dringend den ein oder anderen Drink.
Jedenfalls fiel mir plötzlich auf, dass ich bisher so gut wie nichts gegessen hatte. Ich! Wo mein persönlicher Rekord im Nicht-Essen bisher bei zwei Stunden und dreizehn Minuten lag. Den ganzen Tag über hatte ich lediglich ein paar Schokomüsliriegel reingeschoben, und von Luft allein konnte der Mensch ja nicht leben. Mittags war keine Zeit dafür gewesen, und am Abend wartete ja ein grandioses Büfett auf mich – sobald es endlich eröffnet werden würde. Langsam empfand ich es als
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