Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
die Welt wieder in Ordnung. Wenn es nur keiner gesehen hatte! Aber es half alles nichts, ich musste zurück.
Zum Glück war das Büfett anscheinend ohne lange Reden eröffnet worden, denn vor lauter Hunger bahnte sich bei mir ein Kreislaufkollaps an. Vermutlich war mein Hirn einfach nicht richtig durchblutet, jedenfalls stellte ich mich von links an, als wäre es mein erstes Mal an einem Büfett. Peinlich. Aber das Verlangen nach etwas Salzigem war größer als der Wille zur Contenance.
Also entschuldigte ich mich flüchtig bei mindestens fünf Leuten dafür, dass ich sie versehentlich angerempelt hatte, dann nahm ich meinen viel zu vollen Teller und setzte mich draußen an einen der Tische, die direkt am Geländer standen und von denen man diesen traumhaften Blick über die Elbe genießen konnte. Ich scannte mit meinem Blick noch einmal alle Anwesenden. Kein Udo weit und breit.
Dann war der Teller leer, ich voll, und die Laune stieg. Ich schaute noch einmal kurz in die Menschenmenge, dann stöckelte ich – für meine Verhältnisse – elegant wieder rein.
Links vom Eingang gab es einen kleineren Raum, in dem sich Zigarrenraucher über den Polosport und die Immobilienpreise zu unterhalten schienen, rechts lag ein großer Saal, in dem es sicher etwas lustiger zugehen würde. Schließlich hatten die Ersten schon angefangen, zwischen pinkfarbenen Punktstrahlern das Tanzbein zu schwingen.
Es war kein leichtes Unterfangen, sich durch die Menschenmenge zu wühlen, aber schließlich stand ich doch an der Tanzfläche, die von Säulen umgeben war. Udo hatte ich schon von Weitem an der Bar entdeckt, allerdings blieb er dort nicht lange. Kaum hatte ich mich an die Säule gelehnt, stand er schon in meiner Nähe. War das Einbildung?
Ich lächelte ihn mit diesem gewissen Blick an, den Juliane besser nicht sehen sollte, und überlegte, wann ich die Bettwäsche eigentlich das letzte Mal gewechselt hatte. Parallel wunderte ich mich über mich selbst.
So etwas ging, zumindest bei Frauen. Die konnten an sieben Sachen gleichzeitig denken, schrieb mal ein Yogameister in einer dieser zig Frauenzeitschriften, die beim Arzt rumlagen. Die wenigsten Frauen, schrieb er, würden beim Sex an Sex denken. Die meisten würden darüber nachdenken, ob es sich eher lohnen würde, Bunt- oder Weißwäsche beim nächsten Mal zu waschen und ob der Friseur eigentlich montags oder samstags zuhat und wie lange man den Pulli noch umtauschen könnte, wenn der Bon verschwunden war.
Ich dagegen dachte an Sex. Ohne Buntwäsche. Das mochte damit zu tun haben, dass ich weder am Ziel war noch dahin gelangen sollte – wenn es nach Juliane ging. Mir fiel ein, dass ich ja gar nicht wissen durfte, wie er hieß, und fragte nach ein paar Minuten, freundlich nach.
»U…«, war alles, was ich verstand, weil in dem Moment der Erste Bürgermeister der Stadt mit einem Mikro in der Hand auf der Bühne am anderen Ende des Saales stand und persönlich all diejenigen begrüßen wollte, die täglich über ihn und seinen Senat berichteten. Wie nett.
»Und du?«, schrie Udo mir ins Ohr.
Ich schrie zurück, was aber anscheinend genauso wenig bei ihm ankam, wie sein Name bei mir. Da ich ja wusste, wie er hieß, war das weniger schlimm. Er schüttelte jedenfalls Kopf und Schultern, um zu zeigen, dass er nichts verstand. Wir warteten die Rede ab, holten uns in der Zeit noch etwas zu trinken und hatten die Frage nach den Namen dabei wieder vergessen.
Kaum hatte Herr Scholz das Mikro wieder weggelegt und das erste Lied begonnen, riss mir Udo das bis dahin fast leere Glas aus der Hand und zog mich auf die Tanzfläche.
»Meine Hacke!«, rief ich und zeigte nach unten, aber die interessierte ihn nicht – im Gegensatz zu mir. Die ganze Zeit hatte ich Panik, sie würde sekündlich abbrechen und ich wie eine Flunder vor ihm liegen.
Grundsätzlich sprach bei diesem Mann ja nichts dagegen, bei den Augen, diesem Hintern … vom Rest mal ganz abgesehen. Es mussten nur nicht Hundertschaften von Journalisten anwesend sein.
Der pinkfarbene Streifen war verschwunden, als wir ein oder zwei Stunden später, völlig erledigt von unseren eigenen Tanzkünsten – beziehungsweise seinen – zusammen auf die Terrasse gingen.
Wann hatte ich zuletzt so einen Spaß gehabt? Und das in Verbindung mit Bewegung. Obwohl ich gestehen musste, dass ich eher bewegt wurde, als dass ich mich selbst bewegte.
Okay, ich gehörte nicht zu den Mädchen, die Ballettunterricht gehabt hatten, aber das musste
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