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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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auf »Anfang« gespult.
    Ich hatte mich noch nicht einmal von meinem Hackenschreck erholt, außerdem knurrte mein Magen inzwischen so, dass es vermutlich alle Gäste hören konnten, auch die draußen auf der Terrasse. Und ich musste aufs Klo – dringend. Außerdem war mein Mund plötzlich trockener als die Sahara. Nichts kam heraus. Ein kurzes »Hey« wäre nett, kam aber nicht. Oder ein bisschen Smalltalk über den Gebrauch unpraktischer Frauenschuhe wäre eine Möglichkeit. Ein »Danke noch mal« wäre auch denkbar gewesen.
    »Na, kommt er noch?«, fragte Udo dafür.
    »Er?«
    »Ja. Er. Sie starren die ganze Zeit zur Tür. Oder warten Sie auf eine Frau?« Er musterte mich kurz. »Das hätte ich jetzt auf den ersten Blick bei Ihnen nicht erwartet, aber Anne Will sieht man es ja schließlich auch nicht an.«
    »Nein. Also. Ich meine, es kommt keine … Frau.«
    Hilfe.
    »Na, da bin ich aber beruhigt«, sagte er, nahm sich ein Glas, das ihm eines der Erbsenmädchen vor die Nase gehalten hatte, und war wieder weg.
    »Ich auch«, murmelte ich noch hinterher. Mist.
    In dem Moment piepste auch noch mein Handy. Eine SMS. Na, wie läuft es?
    Hallo? Ich war noch keine dreißig Minuten hier. Wenn überhaupt.
    Ich tippte kurz zurück. Alles super! Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber die passte jetzt auch nicht in eine SMS. Ich kann Julianes Bedenken verstehen , schickte ich noch hinterher.
    Ich schaute aus dem Fenster auf die Terrasse. Am Horizont zog sich ein pinkfarbener Streifen entlang, der daran erinnerte, dass die Natur es war, die den Kitsch erfunden hatte. Langsam sollte ich mich wirklich mal Richtung Damen-WC bewegen.
    Dabei musste ich feststellen, dass ich mich hier leider nicht gut auskannte. Das durfte natürlich niemand merken. Ich hielt mich links und landete in einem Saal, der vermutlich für eine Konferenz oder Ähnliches vorbereitet wurde. Am Ende des Raumes war eine weiße Wand, davor ein Beamer, mehrere Stühle und Tischreihen.
    Wie aus dem Nichts schoss plötzlich ein etwas klein geratener Mann mit offensichtlich zu hohem Blutdruck vor meine Linse und strahlte über das ganze kugelrunde Gesicht, als er mich entdeckte. Ich drehte mich um und verschwand, so schnell es ging. Keine Ahnung, was er von mir wollte, ich wollte jedenfalls etwas anderes. Die Toilette. Jetzt.
    In meinem Zustand hätte ich besser Birkenstocksandalen getragen und keine angeknacksten High Heels. Erschwerend kam hinzu, dass sich die Treppe in einer Art Turm nach unten drehte. Eine große Herausforderung, vor allem bei diesem Gegenverkehr.
    Anscheinend sah man mir meine Konzentration an. Alle, die mir entgegenkamen, wichen freundlicherweise mit verständnisvollem Blick aus.
    Geschafft. Das Damen-WC lud zum Bleiben ein, denn es war so, wie ich mir das eigene wünschen würde. Vor allem gab es einem das Gefühl: Es ist total in Ordnung, dass du leicht angetrunken bist und deine Handtasche oben vergessen hast, denn hier ist alles, was du brauchst, um gleich wieder frisch und fröhlich bei den anderen zu erscheinen.
    Es gab kaum etwas, was es nicht gab. Außerdem duftete es so wunderbar, dass man am liebsten dageblieben wäre. Hier fühlte man sich reich und schön. Hier fühlte ich mich wie ein besserer Mensch – bis zu dem Moment, in dem ich in den Spiegel sah. Eine kleine Wölbung links in Höhe meiner Taille irritierte mich. Ich hob den linken Arm und drehte mich seitlich zum Spiegel.
    Heilige Dreifaltigkeit! Das durfte nicht wahr sein. Der Reißverschluss! Er stand offen und bewies nicht nur, dass ich es eilig gehabt hatte, nachdem ich ja eine knappe Stunde gebraucht hatte, um in das Kleid hineinzukommen, sondern auch, dass ich ein ordentlicher Mensch war. Das Unterhemd steckte in der Perlonstrumpfhose, als hätte meine Mutter mich persönlich angezogen. Die Strumpfhose hatte ich mir bis unter die Brust gezogen, damit es nicht auffiel, dass sie leider etwas zu groß war. Ein Traum. Ich durfte gar nicht darüber nachdenken, wie viele Menschen das gesehen hatten. Dagegen war Cindy aus Marzahn eine Modeikone, sozusagen Lagerfelds rechte Hand.
    Ich wollte sterben. Auf der Stelle. Aber dazu war dieser Ort zu schön. Im Mülleimer verschwinden ging auch nicht – zu klein. Also half nur eins: unauffällig weiterleben und den Reißverschluss schließen. Beziehungsweise erst mal ordentlich ausatmen, sonst würde das Ding noch offen stehen, wenn hier morgen früh aufgeräumt und gewischt werden würde.
    Gefühlte zehn Minuten später war

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