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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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wenn ich mir selbst mal ein Pflaster irgendwo hinkleben musste. Nein, irgendwas musste mir bis dahin noch einfallen.
    Ich trank mein Glas aus. Leer.
    »Und im Sender tut er auch so, als wären wir nur gute Freunde. Immerhin streichelt er noch Waltraud …«
    »Was kann denn der Grund sein? Hast du eine Idee?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls muss er sich jetzt auf einmal entweder um seine Kinder kümmern, joggen gehen, oder irgendwas anderes kommt ihm in die Quere.«
    Oder war es vielleicht doch die neue Kollegin aus der Dokumentation? Immerhin waren die beiden auch schon zusammen um die Alster gelaufen. Sie konnte anscheinend mit ihm mithalten. Im Gegensatz zu mir.
    Ilka schenkte mir noch einmal Limo nach. Sie sah mir anscheinend an, dass ich von dem Gurkensaft genug hatte. Gruselig.
    »Du drehst den Spieß um. Wenn er sich das nächste Mal meldet, sagst du ihm, du hättest keine Zeit.«
    »Ich hab keine Lust auf Spielchen.«
    »Gut. Noch besser. Dann sag ihm das.«
    »Genau so?«
    »Genau so!«
    *
    Ich hätte mir nicht so viel Mühe geben und überlegen müssen, wann der richtige Zeitpunkt war, es ihm zu sagen – reine Zeitverschwendung. Am nächsten Montag war er nicht mehr da. Einfach weg. Er hatte eine Stelle bei einem öffentlich-rechtlichen Sender bekommen und vor Antritt des neuen Jobs seinen gesamten Rest- und Jahresurlaub genommen.
    Das nahm ich persönlich. Kein gemeinsames Leben mit mir leben zu wollen war eine Sache, sich davonzuschleichen eine andere. Er hatte mir tatsächlich nichts gesagt. Niente! Null! Sein Tisch war einfach von heute auf morgen leer. Wo gab’s denn so was? Noch nicht einmal ein Ausstand für die Kollegen.
    Ich überlegte, ob es sich um einen Aprilscherz handeln könnte. Nein. Dafür war es eindeutig zu spät. Heute war der – ich sah auf den Stapel Zeitungen auf meinem Schreibtisch – 28. Juni. Das Datum würde ich so schnell nicht vergessen.
    War es denn so schlimm mit mir gewesen, dass man sich gleich in Luft auflösen musste? Hatte er mich mit seiner »Ich bin dann mal eben weg«-Art langsam darauf vorbereiten wollen, dass er verschwinden würde? War es sein Plan gewesen, mich zu entwöhnen, damit es kein kalter Entzug war, wenn er ging? Was war denn passiert? Hatte ich ihm einen Schwangerschaftstest unters Kissen gelegt mit rosa Schleife drum? Nein, hatte ich nicht. Hatte ich gesagt, ich fände Mittelreihenhäuser doch ganz gut? Nein, hatte ich nicht. Also? Eine kleine, klitzekleine Ankündigung hätte doch gereicht. Das machten Eltern doch auch so mit ihren Kindern, bevor sie nach Hause gingen und den Spielplatz verließen. »Nur noch einmal rutschen, dann gehen wir«, hieß es dann. »Nur noch einmal küssen, dann gehe ich«, oder so was in der Art wäre doch nett gewesen.
    Ich war derart wütend, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte und mit voller Wucht gegen seinen Schreibtischstuhl trat, der daraufhin zurückrollte und gegen die Heizung knallte. Alle drehten sich zu mir um.
    »Ist was?«, fragte ich, sodass sie sich alle wieder ihren Computerbildschirmen zuwandten und vereinzelt den Kopf schüttelten.
    Ich nahm den Telefonhörer und wählte seine Nummer. Die Mailbox. Ich knallte den Hörer auf.
    Was war denn bitte so schiefgelaufen, dass man jetzt nicht einmal mehr miteinander redete? Hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen? Das war ja schlimmer als in jeder Kinoschnulze. Da visualisiere ich seit Monaten, dass meiner schwangeren Freundin der Typ abhaut, und was passiert? Meiner haut ab.
    Im Grunde war ich arbeitsunfähig. Ich war weder in der Lage, lustig zu sein, noch war ich fähig, die richtigen Knöpfe zu drücken. Das fiel sogar Grusel-Günther auf, der immer wieder am Studiofenster vorbeikam und den Kopf schüttelte.
    Während ich »Still« von Jupiter Jones spielte, vergaß ich leider, mein Mikro runterzuziehen, sodass man meine Kommentare live on air hören konnte.
    »Ich sollte dir einen Heiratsantrag machen, Waltraud. Dann bin ich auf der sicheren Seite!«
    Da keiner der Zuschauer wusste, dass ich a) einen Hund hatte, der b) Waltraud hieß, dachten jetzt vermutlich alle, ich würde auf Frauen stehen. Auf alte.
    Prima. Das erleichterte mir die Suche sicher.
    Und dann kam der krönende Abschluss meiner »Aufwachen und lachen«-Morningshow«. Ich heulte. Allerdings nicht während Musik lief, nein, während der Wettervorhersage! Dabei gab es sicher schlimmere Schicksale als Regenwetter. Es war auch kein reines Heulen, eher ein Mix aus Heulen und hysterischem

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