Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
trafen uns in den beiden letzten Maiwochen und dann fast den ganzen Juni über noch mal und noch mal und noch mal, bis ich endlich verstanden hatte, was er mir schon bei unserem ersten Date klargemacht hatte. Er wollte im Grunde nur eines: seine Freiheit bewahren. Und hin und wieder Sex.
Dabei hätte er viel mehr von mir haben können. Mein Herz, meinen Hund, mein Alles.
Immerhin bekam er einen Strich an meinem Spiegel.
*
»Dass er hin und wieder seinen Spaß haben will, dagegen ist ja auch grundsätzlich nichts einzuwenden«, meinte einige Ole-Wochenenden später eine Ilka, die inzwischen kugelrund war und aussah wie ein Kastanienmännchen.
Es war Ende Juni, und es war heiß für Hamburger Verhältnisse. Wir saßen auf ihrem Balkon und grübelten über das Phänomen des anderen Geschlechts nach. Meines anderen Geschlechts, ihres war nicht da. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Max’ Brüche waren gut verheilt, also gab es ja keinen Grund mehr, zu Hause bei der schwangeren Freundin zu bleiben.
»Er ist einfach nicht der Richtige.«
»Das erzähl ich dir seit Jahren.«
Sie ließ den Strohhalm ihres antialkoholischen Gurkencocktails los und sah mich an. »Nicht Max. Ole!« Dann steckte sie ihn wieder in den Mund und trank erneut. »Er passt einfach nicht in dein Suchprofil«, meinte sie und rührte mit dem Strohhalm das Eis im Cocktailglas um, als wäre es ein Mojito. Dabei war es irgendein nach Seife schmeckender Tee mit Gurkenstückchen.
Und ich dachte immer, die Geschmacksnerven von Schwangeren wären besonders stark ausgeprägt. Pustekuchen.
Mein Suchprofil. Was war denn mein Suchprofil? Diese Frage konnte ich ja nicht einmal selbst beantworten. Dafür wusste ausgerechnet Ilka, dass Ole nicht ins Raster passte. Ausgerechnet sie musste mir hier und jetzt die Augen öffnen. Sie, der ich wie eine Mutter seit Jahren versuchte, den Freund auszureden. Nun hatten wir die Rollen getauscht. Eins zu eins. Sie saß mir gegenüber und redete auf mich ein, während ich mein Glas betrachtete und überlegte, ob es halb voll oder doch halb leer war.
»Ich verstehe gar nicht, warum er sich nur noch so selten meldet, beziehungsweise gar nicht mehr. Dabei war es doch echt der Hammer.«
Ilka sah mich skeptisch an.
»Seine Worte«, ergänzte ich.
Ilka stellte ihren kalten Gurkensalat weg und strich mit der Hand über ihre Kugel, was eine gewisse Unruhe in mir auslöste. Schließlich war ich davon überzeugt, zumindest einen Kerl richtig einzuschätzen – ihren! Und von dem würde hundertprozentig überhaupt nichts mehr zu sehen sein, sobald ihre ersten Wehen einsetzten. Vermutlich schon viel früher, auch wenn sie ihn immer noch in Schutz nahm, was nur durch Hormone zu erklären war.
Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte sie ihm noch ein paar Tage »Schonfrist« gegeben, bevor sie ihm dann offenbarte, wie seine Zukunft aussehen würde. Nicht seine Zukunft als Musiker, sondern als Vater. Der Schock war so groß, dass er sich in sein »Männerwohnzimmer« verzog und nicht mehr reagierte. Zumindest nicht auf Ilkas Anrufe oder das Klopfen und Hämmern gegen die Tür.
Nach drei Tagen rückte die Feuerwehr an, weil Ilka Panik gehabt hatte, er würde sich etwas antun. Natürlich war das nicht der Fall gewesen. Nachdem er die frohe Botschaft empfangen hatte, hatte er erwartungsgemäß so viel gekifft, dass er im Rausch eingeschlafen war und jegliches Gefühl für Raum, Zeit oder seine eigene Person verloren hatte, als er schließlich aus dieser alten Garage rausgeholt wurde. Gott sah er aus. Man hätte ihn auch direkt zur Einäscherung bringen können.
Also, wann war noch der Stichtag? Mitte September, oder? Gut, dann konnte ich mich ja noch entspannen. Ihr Bauch sah schon aus, als hätte sie einen Medizinball verschluckt – vollständig –, dabei war es ja noch eine ganze Weile bis zur Geburt. Knapp drei Monate, wenn ich mich nicht verrechnet hatte. Oder hatte der Arzt übersehen, dass es Drillinge werden würden?
Ich sollte unbedingt eine Reise buchen – zufälligerweise im September. Mitte September oder besser gleich Anfang des Monats, dann konnte nichts schiefgehen, und mein Albtraum würde auf keinen Fall wahr werden: ich, schweißnass, stöhnend und am Ende meiner körperlichen und geistigen Kräfte mit Ilka im Kreißsaal, der ich die Hand hielt, während ich alle Wehen mitpresste, als wären es meine. Am besten noch die Nabelschnur durchschneiden. Gott behüte! Dabei wurde mir schon ganz anders,
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