Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
hatten Geschmack, oder ihre Mutter. Jedenfalls liefen sie nicht in schlabberiger Jeans herum, deren Reißverschluss nicht mehr zuging und von einer Sicherheitsnadel unterstützt wurde. So wie ich.
Jo hatte eine lila Leggings unter einem knielangen Jeansrock an, dazu knöchelhohe blaue Chucks und einen bunten, geringelten Pullover. Fast vergessen: die roten, glitzernden Haarspangen rechts und links hinter den Ohren. Mehr Farbe, auf einem Meter fünfzig verteilt, war kaum möglich.
Fred war dagegen fast unscheinbar. Sie trug eine gestrickte graue Weste über einem langärmligen weißen T-Shirt, dazu eine blaue Jeans im Boyfriend-Schnitt, die ihre mollige Figur leider auch noch betonte, statt sie zu kaschieren.
Aber sie hatten noch etwas gemeinsam: Sie waren beide sofort in Waltraud vernarrt.
Das hielt allerdings nur eine knappe halbe Stunde an, dann war das Vater-Mutter-Kind-Spiel beendet. Fred und Jo wollten nach Hause, ihr neues Hörspiel zu Ende hören. Waltraud sprang auf, legte den Kopf schief und sah ein wenig beleidigt aus, weil das Kraulprogramm so abrupt beendet worden war. Zwei Hände vorne, zwei hinten – das hatte sie in der Form schließlich noch nie gehabt.
»Ich höre am liebsten ›Die drei Fragezeichen‹«, sagte ich und überraschte Fred und Jo damit.
Ich erntete ungläubige Blicke. »Du? Echt? Das ist doch was für …«
»Kinder? Warum?«
Die beiden überlegten. Eine Antwort bekam ich nicht, und auch keine Erklärung, warum Ole mir nicht schon früher von seinen Töchtern erzählt hatte. Der Abschied fiel ziemlich kurz aus.
*
Auf dem Weg nach Hause kramte ich meinen iPod raus und hörte mir »Die drei Fragezeichen und die falsche Fährte« an. Plötzlich blieb Waltraud stehen, sie musste mal. Ich sah diskret weg und einem frisch verliebten Pärchen direkt in die Gesichter. Die beiden sahen übertrieben fröhlich von ihrem Werbeplakat zu mir runter. »NEU.DE« stand in großen roten Buchstaben neben den Grinsenden.
Mein Handy klingelte. Marc.
»Warum meldest du dich denn nicht? Alles okay? Oder war die Nacht so schlimm?«
»Nein, sie war gut.«
»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
»Marc, du hast Sophie, und ich … ich hab Waltraud. Ich hab keine Lust, dein Lückenfüller zu sein. Sorry.«
Ich legte auf, was nicht meine Art war und eher auf meinen Gesamtzustand als auf Marc zurückzuführen war. Aber das konnte er ja nicht wissen.
Ich sollte Marc anrufen und mich entschuldigen. Oder doch nicht? Warum verbrachte ich eine Nacht mit ihm und meldete mich dann nicht mehr? Dass er vergeben war, hatte ich doch vorher gewusst. Das war doch kein Grund, unhöflich zu werden.
Wahrscheinlich lag es nur an der Sache mit Ole. Jetzt hätte man eine gute Freundin gebrauchen können, aber die waren ja alle mit anderen Dingen beschäftigt.
Das, was vom Wochenende noch übrig blieb, verbrachte ich in der Wohnung zwischen Brötchenhälften, Balkonliege und Bett – bis auf einige weitere Spaziergänge mit Waltraud. Außerdem rief meine Mutter an und erzählte mir, dass sie nächsten Monat nach Indien fliegen würde, in ein Ashram, um ihre Mitte zu finden. Das tue mir sicher auch gut, meinte sie.
Ich wollte nicht meine Mitte finden, nur einen Mann. Mir hätte auch ein schwuler Freund gereicht. Erst einmal.
Ich sah Waltraud an, die neben dem Sofa lag und schmatzte. »Das, was ich jetzt machen werde, bleibt unser Geheimnis, verstanden?«
Sie drehte den Kopf weg. Ich nahm meinen Rechner auf den Schoß und machte ihn an.
Elitepartner.de, Neu.de, New-in-town.de, Rent-a-friend.de … Er sucht sie, sie sucht ihn, sie sucht sie, er sucht ihn, alle suchen einen – Partner. Die Partnersuche im Netz erweckte den Eindruck, als wäre nichts leichter als den Richtigen für die nächsten – na, sagen wir mal – fünfundvierzig Jahre zu finden.
Eines hatten sie hier alle gemeinsam: Sie waren solo oder taten zumindest so, und sie waren kreativ. Wer wollte, konnte sich auch direkt zum Fremdgehen verabreden. Das war doch mal eine ehrliche Ansage. Sie hießen Nixversteher, Normaltyp, Wahrerwohlklang, Balu und Mogli oder auch Lovekillsslowly, wobei ich mir um Letzteren ernsthaft Sorgen machte, denn er sah wirklich so aus, als ginge es bald mit ihm zu Ende.
Lediglich auf der Seite von »New in town« fühlte ich mich nicht wie im Ganz-Körper-Scanner am Airport. Hier wurden nette Abende angeboten, an denen man zusammen kochte oder Cocktails trank. So sah es zumindest aus. Vielleicht war ich auch einfach zu
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