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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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berechtigt. Schließlich lief gerade meine Sendung, Herbert würde jeden Moment fertig sein mit seinem Wunsch nach mehr Verkehr, und ich sollte in einer Minute und knapp dreißig Sekunden die Nachrichten ankündigen.
    »Hey, was gibt’s? Ich bin gleich wieder auf Sendung.«
    Ilka schmatzte und schniefte. Das war im ersten Moment alles, was ich hörte. Sofort war ich in Alarmbereitschaft. Ich tippte auf Max. Vermutlich musste ich ihn doch noch eigenhändig umbringen.
    Gerade, als ich fragen wollte, was er denn dieses Mal gemacht bzw. eben nicht gemacht hatte, sagte sie stotternd: »Ich … ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich«, sie schluckte, dann zog sie die Nase hoch, »im Marienkrankenhaus bin. Die Fruchtblase ist heute Morgen geplatzt.« Sie heulte los, sodass ich reflexartig nach einem Taschentuch in meiner Hose suchte, was ihr natürlich auch nicht weitergeholfen hätte. Dann biss sie von irgendwas ab, während sie versuchte, ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen, und kaute. »Und jetzt darf ich hier warten.« Sie fing wieder an zu weinen.
    »Wo ist denn der Hase?«
    Falsche Frage. Sie schniefte so laut, dass ich das Telefon kurzzeitig ein Stück von meinem Ohr weghalten musste.
    »Ich … ich weiß es nicht. Ich erreiche ihn nicht«, sagte sie mit gepresster Stimme, hielt immer wieder kurz die Luft an und kaute dann weiter. »Sag jetzt bitte nichts, Charly. Scheiße, jetzt kommen sie immer häufiger. Oh, Mann … aua. Ich glaub, ich lass das mal mit dem Essen. Mist.«
    Jetzt fiel mir wieder ein, was ich noch gemacht haben wollte: meinen Jahresurlaub einreichen. Verdammt.
    Wahrscheinlich waren die Temperaturen schuld, dass Ilkas Wurm es so eilig hatte, da rauszukommen. Da drin schwamm er vermutlich inzwischen in einer Art Whirlpool.
    »Wo bist du denn?«
    »Im Bistro.«
    »Im Bistro?«
    »Ja, eigentlich soll ich den Gang hoch und runter gehen, aber das war mir irgendwann echt zu blöd. Ahhh! Mist, tut das weh.«
    Was sagte man in so einem Moment? Gute Besserung, das wird schon wieder? Ein Indianer kennt keinen Schmerz? Na dann, viel Erfolg? Alles Gute? Toi, toi, toi?
    Nein. Man fährt hin.
    Auch wenn das alles anders vereinbart gewesen war. Jetzt war ich mir ganz sicher, dass ich Max umbringen musste. Aber erst nach der Geburt, es half ja alles nichts.
    Ich kündigte meine Kollegin an, die die Nachrichten lesen würde, und zwar die gleichen, die sie schon vor einer Stunde gelesen hatte und in der Stunde davor. Denn leider passierte an diesem Tag rein gar nichts. Abgesehen von einer anstehenden Niederkunft.
    Ich nutzte die fünfeineinhalb Minuten, die es dauern würde, bis ich wieder dran war, und gab Günther durch die Glasscheibe ein Zeichen, dass er zu mir kommen sollte. Sofort.
    Als er hörte, warum ich die Sendung leider nicht zu Ende moderieren konnte, war er zuerst geschockt, dann begeistert, was mich wiederum schockte. Und dann kam er auf die glorreiche Idee, ich könne doch eine Live-Schalte in die Sendung machen und mich direkt aus dem Kreißsaal melden. 99,9 würde auch die Pampers für das erste Jahr übernehmen, und überhaupt, so ein Kind sei doch der Knaller. Das könne dann unser Maskottchen werden, und in regelmäßigen Abständen – erste Zähne, erste Schritte, erste Worte – würden wir darüber berichten.
    Als wäre es das erste Kind, das in der Freien und Hansestadt Hamburg das Licht der Welt erblickte! Also wirklich.
    Vermutlich erinnerte er sich gerade an die gestrige Nachricht, dass in Deutschland immer noch zu wenig Kinder geboren würden. Da nahm er einfach Ilkas Situation zum Anlass, die Werbetrommel zu rühren – die eigene natürlich auch. Anders war das alles nicht zu erklären, was er da von sich gab. Fragwürdige Ideen hatte er ja schon immer, aber das … Er war wie im Rausch, und es schwappten immer neue Ideen aus seinem viel zu großen Mund.
    Ich unterbrach ihn.
    »Mit Sicherheit werde ich genau das nicht tun. Ich werde nur eines tun: Die nächsten drei Lieder ankündigen und dann im Taxi Richtung Krankenhaus sitzen. Seien Sie doch so gut, und überlegen Sie in der Zeit, wer meinen Job übernehmen kann, oder moderieren Sie am besten gleich den Rest der Sendung selbst – sind ja eh nur noch«, ich sah auf meine Uhr, »fünfundvierzig Minuten. Ach, und bitte seien Sie so gut, und passen Sie so lange auf Waltraud auf. Die ist vermutlich im Kreißsaal nicht willkommen«.
    Ich drückte ihm die Leine in die Hand und ging zur Garderobe. Waltraud, die bis dahin wie immer

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