Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
sollen. Ich bin nämlich demnächst biologisch tot, falls ich nicht vorher eine Lungenembolie bekomme.«
»Wie? Tot?«
»Ich werde künstlich in die Wechseljahre versetzt. Und dann«, Birgit hob langsam und theatralisch ihren rechten Arm gen Himmel, »und dann wird alles wieder durch die Hormonspritzen künstlich hochgefahren.« Sie schüttelte den Kopf. »Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet ich. Erst fliegt einem alles zu und dann? Schluss. Als wären die Wünsche alle aufgebraucht.«
Ich holte kurz Luft und überlegte, ihr das zu sagen, was man in solchen Momenten als Freundin vermutlich sagen sollte.
Ach, Birgit. Wie lange versucht ihr es denn schon? Vier Monate? Ein halbes Jahr? Da muss man doch nicht gleich verzweifeln. Das wird schon. Da bin ich ganz sicher.
Ich sagte es nicht.
Ich sagte etwas anderes.
Und das war auch nicht besser, wie sich schnell herausstellte.
»Ich habe mal gehört, dass Kinder sich ihre Eltern aussuchen, und …«
Ich hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da drehte sie sich ruckartig zu mir um und sah mich an, als hätte ich ihr gerade gesagt, dass ich mit ihrem Mann im Bett gewesen sei. Ich wollte ihr eigentlich nur Mut machen. Dazu kam es aber nicht mehr. Ich hatte ihren wunden Punkt erwischt.
»Aha«, fiel sie mir ins Wort, »und die logische Schlussfolgerung ist wohl, dass kein Kind zu mir will, oder wie?«
Hilfe! Setzte sie sich etwa schon diese Spritzen? Und wenn ja, waren sie vielleicht persönlichkeitsverändernd?
»So hab ich das doch gar nicht gemeint. Ich denke nur, dass man Kinder nicht planen kann wie eine Karriere oder was auch immer. Die kommen eben, wann sie wollen oder … oder wenn die Zeit dafür da ist.«
Himmel. Wo hatte ich den Mist nur gelesen? Vermutlich in der Apotheken-Umschau.
Es wurde frisch. Hätte ich bloß nicht die Flip-Flops angezogen. Ich fing an zu frieren.
»Wenn die Zeit dafür da ist? Die Zeit ist demnächst abgelaufen, Charly. Auch wenn dich das kaltlässt.«
Sie schaute wieder ins Feuer.
Moment. Meinte sie, dass mich meine Zeit kaltließe, oder ihre?
»Schließlich möchte ich im Altenheim auch mal am Wochenende Besuch von meinen Kindern bekommen und mich da nicht zu Tode langweilen.«
»Du willst ein Kind, damit du später nicht allein im Altenheim sitzt?«
»Ja, unter anderem auch deswegen.«
Sie nahm ihre Bionade und trank den Rest in einem Zug aus.
»Wir können uns ja im Heim ein Doppelzimmer nehmen, dann bist du nie allein. Das wird doch sicher lustig.«
Gar nicht lustig sah sie ins Feuer.
Ich lächelte sie an, aber der Versuch war vergebens. Sie reagierte nicht.
»Versuch doch einfach mal, nicht daran zu denken. Vielleicht …«
»Nicht daran denken? Ich würde liebend gerne mal nicht daran denken. Aber wie soll das bitte bei dem Plan gehen, an den ich mich halten muss?«
»Warum machst du dir denn so einen Druck? Du bist doch nicht fünfundvierzig. Andere Frauen bekommen auch Kinder nach ihrem neununddreißigsten Geburtstag. Sieh es doch positiv. Du kannst hier mit mir am Strand sitzen und Bier trinken, den Blick über den Hafen genießen …«
»Wer sagt dir denn, dass ich das will?«
»Was?«
»Hier sitzen und Bier oder Bionade oder was auch immer trinken.«
Ich musste schlucken. »Aha, und was möchtest du denn stattdessen lieber machen? Alleine im Wohnzimmer sitzen mit einem Baby, das seit Stunden schreit, weil es entweder Hunger hat, die Windel voll ist, es Zähnchen bekommt oder Blähungen hat oder Schnupfen, oder weil es einfach nicht einsieht, dass Schlaf eine Sache ist, die man am besten nachts erledigt? Dein Mann ist gerade wieder auf irgendeiner Geschäftsreise, hat den Flieger verpasst und kommt leider erst morgen an oder nächste Woche, weil die Fluglotsen streiken. Meinst du wirklich, es ist alles wunderbar, wenn man ein Baby hat? Weißt du was? Ich freue mich jede Nacht, wenn ich das Baby aus dem Nebenhaus durch zwei dicke Hauswände und Hannes Gör von unten durch die Decke höre, dass ich meine Ohropax nehmen und mich einfach umdrehen und weiterschlafen kann.«
Gör? Gar nicht gut.
»Meinetwegen kannst du auch gern weiterhin kinderlos bleiben. Bei dir scheint ja irgendetwas anders zu ticken – beziehungsweise gar nicht –, aber ich möchte ein Kind haben, bevor es zu spät ist.«
Ups. Ich tickte anders? Oder meinte sie eher, ich tickte nicht richtig? Langsam wurde ich auch sauer.
»Du hast recht. Ich ticke anders. Ich habe nämlich keine Torschlusspanik. Und ja: Kinder sind nicht
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