Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Charly, wir denken an dich und drücken die Daumen!«
»Spinnt der jetzt völlig? Das klingt ja, als würde ich in den Wehen liegen. Das gibt’s doch nicht! Dieser Vollidiot.«
Ein Pfleger blieb stehen, sah mir erst auf den Bauch, dann in die Augen und fragte, ob er helfen könne.
»Allerdings. Zuerst können Sie mir bitte zeigen, wo hier der Kreißsaal ist, und dann können Sie meinen Chef lynchen. Die Anschrift kann ich Ihnen gleich geben, falls Sie Zeit haben.«
»Der Kreißsaal befindet sich in Haus B, und das andere würde ich eher einem Auftragskiller überlassen. Ich rette lieber Leben statt sie zu beenden.«
Er dachte, ich würde Spaß machen. Süß. Musste ich mich wohl doch selbst drum kümmern.
»Und wo ist Haus B, bitte?«
»Sie gehen einfach wieder raus, links, und dann sehen Sie es gleich.«
Ich ging raus und gleich links und sah alles Mögliche, aber kein Haus B. Wenn es sich hier wirklich um meine eigenen Wehen handeln würde, käme das Kind vermutlich zwischen zwei Blumenbeeten auf einem grau gepflasterten Weg zur Welt. Auch nicht schön. Was sollte man denn tun, wenn es ernst wäre? Um Hilfe schreien?
Ich rannte ein Stück, dann ging ich wieder. Für einen Dauerlauf war es einfach zu heiß. Ich entschied mich dann, einfach geradeaus weiterzugehen, und tatsächlich stand ich kurze Zeit später vor einem Gebäude. Haus C.
Eine ältere Dame in einem weißen Sommerkleid aus Spitze, die mich unweigerlich daran zweifeln ließ, ob Inge Meisel schon tot war, kam mit einem Gehwagen aus dem Eingang und steuerte auf mich zu.
»Entschuldigung. Wissen Sie eventuell, wo Haus B ist?«
»Haus B, ne. Was soll denn da sein?«, krächzte sie mit unfassbar hoher Quietschstimme, und ich erkannte, dass es sich doch nicht um Inge Meisel handelte. Beruhigend.
»Der Kreißsaal.«
»Ach Gottchen, Liebes. Das ist siebzig Jahre her, dass ich da lag. Das weiß ich doch heute nicht mehr. Aber ich glaube, es könnte da sein.« Sie zeigte mit zittriger Hand in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Sicher bin ich mir aber nicht.« Sie schüttelte den Kopf, dann schob sie ihren Wagen weiter.
Ich bedankte mich, wischte mir den Schweiß von der Stirn, fragte mich, wo der nächste Getränkeautomat war, und lief zurück. Verflixt und zugenäht, wenn ich noch lange suchte, käme ich mit etwas Glück pünktlich zur Taufe.
Gerade als ich um die Ecke zum Hauptgebäude laufen wollte, knallte ich frontal mit irgendwem oder irgendwas zusammen. Danach war alles schwarz.
*
Bevor ich das grelle Licht durch einen schmalen Schlitz meiner ansonsten geschlossenen Augen bemerkte, stellte ich etwas anderes fest. Schmerzen. Ich war mir sicher, der Countdownn würde bereits laufen und mein Schädel jeden Moment platzen. Ich griff mit der Hand an meinen Kopf, der sich irgendwie taub anfühlte, zumindest von außen. Von innen leider ganz und gar nicht.
»Sie kommt zu sich«, hörte ich eine Stimme aus dem Nichts sagen und versuchte, die Augen ein Stück weiter zu öffnen. Nachdem mich die ersten fiesen Lichtstrahlen wie Pfeile trafen, ließ ich es sofort wieder.
»Was ist denn los?«, stammelte ich.
»Sie sind mit einem unserer Lieferanten zusammengestoßen, beziehungsweise mit seinem metallenen Rollwagen.«
Metall. Allein das Wort verschlimmerte meinen Allgemeinzustand sofort. Ich fühlte noch mal nach meinem Kopf und ertastete einen Verband oder ein riesiges Pflaster.
»Wo bin ich denn?«
»Oh, dann ist es doch etwas schlimmer als befürchtet. Woran erinnern Sie sich denn noch?«
Ich gab mir größte Mühe, mein Resthirn, das noch funktionierte, zu mobilisieren. Irgendwas mit Günther. Er hatte irgendwas gesagt, was mich aufgeregt hatte. Wo war er denn? Ach, richtig.
»Ich wollte meinen Chef lynchen, aber Ihr Mitarbeiter wollte mir nicht dabei helfen, das weiß ich noch. Er … er sagte, er würde an meiner Stelle einen Auftragskiller nehmen … aber warum ich das wollte …«
Stille.
Oh Gott, jetzt rufen die gleich in der Psychiatrie an und lassen mich abtransportieren. Verdammt noch mal. Was wollte ich denn hier?
»Gute Frau, wissen Sie denn, wie Sie heißen?«
Kreißsaal! Ich wollte in den Kreißsaal. Ja! Jetzt kam es langsam alles wieder.
»Ilka!« Ich öffnete die Augen und sah mich im Raum um. »Ich muss in den Kreißsaal.«
Ein junger Arzt in einem weißen Kittel, in dessen Taschen er seine Hände gesteckt hatte, sah mich skeptisch an. Rechts und links zwei Krankenschwestern, die mindestens doppelt so alt und
Weitere Kostenlose Bücher