Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
wirklich nicht leichtfiel, und machten uns daran, unsere Pläne in die Tat umzusetzen.
Mitten in unserer Streichaktion klingelte plötzlich sein Handy.
»Ach, wie schön! Toll. Herzlichen Glückwunsch.«
Kannte er jemanden, der gerade im Lotto gewonnen hatte? Und wenn ja, wer? Vielleicht war er in einer Tippgemeinschaft. Es schien sich um mindestens fünf Richtige zu handeln, so, wie er strahlte. Wurde nicht immer geraten, man sollte so etwas erst einmal für sich behalten und unauffällig weiterleben?
»Und? Hat sie so rote Haare, wie du befürchtet hast?«
Doch keine Million.
Er lachte. »Klar. Gern. Aber jetzt erhol dich erst mal. Ja. Genau. Und dann sehen wir uns ja schon bald beim Familienfest. Okay, mach ich, ja, grüß du auch.«
Glückwunsch? Rote Haare? Familienfest?
»Rosa. Sie heißt Rosa Luisa, und sie hat braune Haare. Anni hatte Angst, die Kleine könnte rote Haare haben, dann hätte sie sich einen anderen Namen ausdenken müssen, und sie wollte doch immer schon eine Tochter haben, die Rosa heißt. 3600 Gramm schwer ist sie und hat anscheinend das Temperament ihres Vaters geerbt. Unglaublich. Sie hat tatsächlich ihre eigene Geburt verschlafen. Die Hebamme hat gesagt, das habe sie noch nie erlebt. Ein Baby, das schlafend auf die Welt kommt.« Micha lachte los. »Klasse!«
Was?, überlegte ich. Was war klasse?
»Jetzt haben wir schon vier kleine Möllers!«
Wie konnte es sein, dass überall zu lesen war, die Geburtenrate ginge zurück?
»Und was ist das mit diesem Familienfest?«
»Ach, stimmt, das wollte ich dir ja auch noch sagen. Das machen wir immer einmal im Jahr im Sommer.«
Im Sommer? Wir hatten Anfang Juni, also fast Sommer, jedenfalls gefühlter Sommer!
»Dann lernst du endlich mal meine Eltern kennen und den Rest der Bande. Das wird bestimmt nett.«
»Wer ist denn ›der Rest der Bande‹?«
»Oh, das sind vermutlich, wenn alle kommen, meine Schwester Anni und ihr Mann Conrad, die werden sicher da sein, sie wohnen ja im Haus. Dann meine Geschwister Moritz, seine Freundin Sarah, Maximilian und Johannes. Vielleicht kommt auch noch Oma Lisa. Mal schauen. Na ja und die ganzen Kinder halt. Ach, und meine Eltern natürlich. Fast vergessen. Onkel Wilhelm und die anderen wissen noch nicht, ob sie es dieses Jahr schaffen, sie wollen wohl nach Namibia fliegen. Safari oder so. Na, wer’s mag.« Er lachte.
Na ja und die ganzen Kinder halt. Wie viele waren »die ganzen«?
Ich musste an den letzten Geburtstag denken, den ich in meiner alten Wohnung gefeiert hatte, und bei dem ich eher das Gefühl hatte, auf einer Kinderparty gelandet zu sein.
»Und wann ist dieses Familientreffen genau?«
»In drei oder vier Wochen müsste das sein, glaube ich. I ch schau gleich mal nach, wenn ich in diesem Chaos m ein Filofax gefunden habe.«
Als wir nach dem Streichen die Folien, die wir über die Möbel und alle anderen Gegenstände gelegt hatten, wieder entfernten, befanden sich drei Eimer Farbe an den Wänden und mindestens einer auf meinem Kopf. Vier linke Hände waren mindestens zwei zu viel. Ich sah aus wie das kleine Gespenst.
Micha sah mich fragend an, aber das lag weder an meinem äußeren Erscheinungsbild noch an der Frage, die sich einem sofort aufdrängte: Geht das jemals wieder ab, oder bleibt das jetzt so?
Anscheinend sah er zum ersten Mal die Lippenstiftstriche auf meinem Spiegel. Seinen inklusive.
»Was hast du denn da gezählt? Deine Typen im letzten Jahr?«
Ich hielt die Luft an. Oh Gott, konnte er hellsehen? Das wäre ja schrecklich! Ich musste mich stark zusammenreißen, um mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Also, einfach unauffällig weiteratmen.
Micha knüllte die Folie zusammen. Dabei hatte er aber plötzlich einen Gesichtsausdruck, der neu war. Eine Mischung aus »Ist mir egal, wenn es so ist«, »Ich bin eifersüchtig, wenn es so ist« und »Baby, mach mir nichts vor, ich sehe es dir eh an deiner Nasenspitze an, wenn es so ist«.
»Ne, dafür hätte der Spiegel nicht gereicht«, konterte ich etwas zeitversetzt. »Das war nur der Versuch, etwas abzunehmen. Ein Strich, ein Kilo. War nicht so erfolgreich die Aktion, wie man sieht.«
Ich nahm den Ärmel meines Blaumanns und wischte die Lippenstiftstriche, so gut es ging, weg. Auf die Idee hätte ich auch schon früher kommen können.
Ich war verliebt, so viel stand fest. Auch wenn nach dieser Streichaktion eines klar war: Handwerklich begabt war er nicht. Beim nächsten Mal würde ich ihn in der Küche
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