Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
er mir am Wochenende morgens ans Bett brachte, und von den »Drei Fragezeichen«, die ich seit Monaten kaum noch hörte.
Dann war mein Ohr heiß.
»Bist du noch dran?«, fragte ich.
»Ja, klar. Mensch, Charly. Ich freu mich für dich.«
So. Nun wäre es an der Zeit, sie zu fragen, wie es ihr ging.
»Und was hast du so getrieben?« Ich biss mir auf die Zunge. Falscher Ausdruck. Zumindest, wenn man wusste, dass sie es seit Monaten nur noch »nach Plan« trieb. Aber Birgit hatte es überhört.
Bei ihr war alles bestens, wie sie mir versicherte. Job tipptopp, Chef zufrieden, Kollegen nett, alles prima. Das zu erzählen dauerte genauso lange, wie eine Tasse kalten Kaffee zu trinken. Es ging sehr schnell.
»Und sonst?«
»Wie?«
»Das Leben vor und nach der Arbeit. Erinnerst du dich?«
»Ach, ja. Auch gut.«
»Birgit?!«
Birgit druckste erst rum und tat, als hätte sie keinen blassen Schimmer, worauf ich hinauswollte, bis ich ihr versicherte, es würde mich wirklich, wirklich, echt interessieren.
»Okay, wenn du es wissen willst.«
Nach der Ankündigung war ich plötzlich nicht mehr sicher.
»Das andere Leben verbringe ich zwischen Storchentee, Fruchtbarkeitsyoga und der Kinderwunschpraxis. Im Grunde könnte ich mich da häuslich einrichten, weil ich so oft da hinmuss. Entweder zum Ultraschall, zur Blutabnahme oder Punktion. Ich glaube sogar schon an Pendel und Vollmondwasser. Ich! Die sonst nur Statistiken traute, die ich selbst geschrieben habe. Jedenfalls sehen meine Arme inzwischen aus wie bei den Kindern vom Bahnhof Zoo. Aber das Schlimmste ist das Wartezimmer!«
»Warum das denn?«
»Na, egal ob du zum Hautarzt, Zahnarzt oder Urologen gehst, die anderen im Wartezimmer wissen ganz sicher nicht , was du hast. Hier wissen die anderen auf alle Fälle, was du hast! Nämlich kein Kind.«
Sie setzte scheinbar eine Tasse oder ein Glas an und nahm einen Schluck. Vermutlich Storchentee.
»Ich bin jetzt eine Zuchthenne. Immerhin eine gute, wie mir unser Arzt gerade wieder bestätigt hat. Lob ist doch etwas Feines. Ich produziere fleißig Eizellen. Überdurchschnittlich viele. Leider sind sie überdurchschnittlich schlecht zu verarbeiten. Die verstehen ihren Job nicht oder halten einfach nichts davon, mit so was wie Sperma eine Fusion einzugehen. Bisher jedenfalls nicht. Zumal sein Sperma auch nicht wirklich das Beste ist, was es auf dem Markt gibt. Zu träge, sagt der Biologe. Da kann man die Eizellen ja fast verstehen: Man muss ja auch wirklich nicht jeden reinlassen. Das ist jetzt jedenfalls unser letzter Versuch. Danach kauf ich mir einen Hund.«
Sie holte hörbar tief Luft und setzte wieder an.
»An mir fummeln inzwischen so viele Männer rum, wie in meinem ganzen Leben nicht. Und keiner von ihnen ist mein Mann. Erleichternd kommt allerdings hinzu, dass er nichts dagegen hatte. Ganz im Gegenteil. Manchmal guckt er sogar zu. Es ist ja für einen guten Zweck.«
Birgit lachte.
»Zwischenzeitlich hätte ich allerdings fast noch einen Samenspender gebraucht, weil mein Mann leider vor lauter Reagenzschälchen vergessen hatte, dass zum Kinderkriegen zwei gehören. Setzt mich an der Klinik ab und fährt wieder! Und während mir unter Vollnarkose meine Eizellen entnommen werden, schlürft er Latte macchiato im Balzac!«
Ich überlegte, was daran so schlimm war. »Okay, er hätte auf dich warten können, aber so schlimm find ich das, ehrlich gesagt, nun auch nicht. Ich weiß zwar nicht, wie lange so ein Eingriff dauert, aber hätte er da die ganze Zeit auf dem Gang warten sollen?«
» Nein! Er sollte sich in dem Zimmer mit den kleinen Plastikbechern einen Film angucken und dabei an was Schönes denken!«
Ups. Da war ja noch was.
»Immerhin hatte er sein Handy angelassen, sodass ihn die Schwestern noch rechtzeitig erreicht haben. Na ja, war ja dann letztendlich auch egal. Hat ja nicht geklappt. Aber, wie steht es noch in meinem Poesiealbum aus der Grundschule: Schau nach vorne, nicht zurück, in der Zukunft liegt das Glück. Also, auf ein Neues!«
Ich wartete einen Moment. Mir fiel nichts Schlaues ein.
»Auf ein Neues!«, wiederholte ich, meinte aber nicht ihre bockigen Eier, sondern unsere Freundschaft und fragte, wann wir uns wiedersehen könnten.
Sie sagte, sie würde sich melden, wenn sie die nächste Abfahrt von der Hormonautobahn erreicht hätte.
Ich wünschte ihr viel Glück, was ich auch so meinte, dann legten wir auf.
Warum hatte ich sie nicht schon viel früher angerufen? Jetzt merkte ich
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