Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
Vom Netzwerk:
– einen, der mich zum Nachdenken zwang.
    Es fing mit einer dieser typischen Charly-sucht-mal-wieder-etwas-Aktionen an, die häufig in Verbindung mit schlechter Laune auftraten. Wer hatte schon gute Laune, wenn er etwas nicht fand, was er dringend brauchte. Und ich brauchte meine Pille wirklich dringend, denn ich war mindestens genauso müde wie Micha, der schon im Bett lag. Er hatte sein Buch beiseitegelegt, das kleine Licht auf dem Nachttisch ausgemacht und sich auf die Seite gedreht. Ein Indiz dafür, dass er mit dem Schäfchenzählen schon durch war.
    »Mist. Das gibt es doch nicht«, schimpfte ich, während ich auf der Suche nach meiner Pillenpackung das Bad auf den Kopf stellte. Natürlich hatte ich sie genau wie immer neben den Zahnputzbecher gelegt. Aber da war sie eben jetzt nicht. Nicht daneben, nicht dahinter, nicht im Regal, im Schrank. Ich ging zu Micha und rüttelte an seiner Schulter.
    »Micha? Micha, hast du meine Pille irgendwo gesehen?«
    »Was ist?«, er drehte sich langsam auf den Rücken und blinzelte mich an.
    »Ich finde meine verdammte Pille nicht. Weißt du, wo sie ist?«
    »Keine Ahnung.«
    Er drehte sich wieder zur Seite, schloss die Augen und murmelte: »Leg dich schlafen. Ist doch egal«, als ich aus dem Schlafzimmer ging.
    Ich ging zurück ins Bad und suchte weiter. Unter dem Waschbecken, hinter dem kleinen Mülleimer fand ich die silberne Packung schließlich, und als ich mir die rosa Pille in den Mund steckte und runterschluckte, musste ich plötzlich daran denken, was Micha gesagt hatte: ist doch egal.
    Ist doch egal. Immer wieder kam mir dieser Satz in den Sinn. Obwohl ich todmüde war, wollten diese drei Wörter einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden.
    Ist doch egal.
    Was war egal? War es ihm egal, ob ich die Pille nahm? Und wenn ja, warum? War es ihm egal, dass ich sie einen Tag mal nicht nahm, weil er wusste, es hätte keine großen Auswirkungen? War es ihm egal, weil er einfach nur schl afen wollte und gar nicht richtig zugehört hatte? Er war doch sonst nicht so gleichgültig.
    Premiere, dachte ich. Das war das erste Mal, dass ich eine Reaktion von ihm überhaupt nicht einschätzen konnte. Oder konnte ich ihn nicht einschätzen? War es das?
    Ach, Quatsch. Jetzt ist aber mal gut, Charly, versuchte ich mich zu beruhigen, drehte und wendete mich aber trotzdem im Bett, bis ich keinen anderen Ausweg mehr wusste, als mir meinen iPod zu nehmen und »Die drei Fragezeichen und das Geheimnis der Diva« zu hören. Es half.
    Da es bei dieser einen Bemerkung blieb und keine weiteren folgten, beschloss ich am nächsten Morgen, das Grübeln darüber einzustellen. Manchmal neigen Frauen ja auch wirklich dazu, etwas zu viel zu interpretieren, wo es nichts zu interpretieren gab. Auf der anderen Seite …
    Nein! Schluss damit!
    Von dieser schlaflosen Nacht abgesehen konnte ich keine negativen Nebenwirkungen des Zusammenlebens feststellen, und so stürzten wir uns in die Suche nach einer schönen großen Altbauwohnung mit hohen Decken, Holzfußboden, Balkon, Badewanne, und das Ganze möglichst in Elbnähe und natürlich unter zweitausend Euro kalt. Pure Illusion.
    Wir suchten ein paar Wochen lang, kauften haufenweise das Abendblatt , lasen jede Anzeige, auch die mit dem schwarzen Rand, recherchierten im Internet, fragten jeden, der uns über den Weg lief, und stellten schließlich fest: Die Chance, dass Waltraud plötzlich sprechen lernen und uns den Kaffee ans Bett bringen würde, wäre sehr viel höher, als eine Wohnung zu finden.
    Und so entschieden wir uns schließlich – es war schon Ende Mai geworden – für einen Neuanstrich meiner bisherigen vier Wände als Zeichen für den Neuanfang.
    Das Zeichen wurde, nach einem ersten kleinen Wortgefecht mitten im Baumarkt, hellgrau. So wie in den unzähligen Krimis aus Schweden, die ich liebte. Nicht nur wegen der grauen Wände in den Polizeistationen.
    Vielleicht wäre es doch besser gewesen, ich hätte mir mal seine Einrichtung angesehen, dann hätte ich vermutlich vorher gewusst, dass das langweiligste Beige – er nannte es »Sand« – für ihn eine total »flippige Farbe« war. Den Kampf hatte ich jedenfalls gewonnen, auch wenn danach der halbe Baumarkt wusste, wie stur und dickköpfig ich sein konnte, wenn es um so lebenswichtige Dinge wie Farbe ging. Meinetwegen konnte er die Abstellkammer ja beige anstreichen, aber nicht mein, äh, unser Wohnzimmer.
    *
    Am ersten Sonntag im Juni ignorierten wir das schöne, warme Wetter, was mir

Weitere Kostenlose Bücher