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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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erst, wie sehr ich sie doch eigentlich vermisst hatte.
    *
    Freitagabend, es war der 29. April – ein Datum, das ich nie vergessen würde –, kam Micha. Mit Blumen und einem »total tollen Tropfen« aus Südafrika stand er vor der Tür, und ich dachte in dem Moment, als ich ihm aufmachte: Eigentlich könntest du ihm mal einen Schlüssel geben.
    Während ich die Blumen frisch anschnitt, nachdem ich ihn abgeknutscht und er die Flasche geöffnet hatte, sagte er, er möchte mich etwas Wichtiges fragen.
    Aha. Was konnte das sein? Ich überlegte. Dabei kam aber nichts raus. Meine Neugierde wuchs. Deshalb ließ ich die restlichen Rosen ohne frischen Anschnitt in die große Glasvase plumpsen und sah ihn erwartungsvoll an.
    Er hatte es leider nicht ganz so eilig, nahm seelenruhig zwei Gläser aus der Vitrine im Wohnzimmer, hielt sie gegen das Licht, um zu überprüfen, wie viel Staub akzeptabel war, und polierte sie dann auch noch in aller Ruhe nach.
    Hallo? Ich bin eine Frau! Ich bin neugierig! Schon vergessen? Ich schnaufte extra laut aus. Leider nicht laut genug. Also musste ich nachhelfen.
    »Was möchtest du denn wissen?«
    »Moment«, sagte er und polierte auch das andere Glas noch mal mit dem Küchenhandtuch über.
    »So.«
    Dann schenkte er uns ein und hielt mir das Glas hin.
    »Und?«
    »Also, jetzt kennen wir uns ja schon eine ganze Weile, und in unserem Alter weiß man ja inzwischen auch, was man will, deshalb wollte ich dich fragen, also, was hältst du davon, wenn ich … also, wenn wir … ich wollte sagen, möchtest du …?«
    Möchte ich, was?
    Lieber Gott! War das der Moment? Der eine Moment? Deshalb der tolle Tropfen! Wo waren die Kerzen? Wo die Rosen? Mein Deo versagte.
    »Ja?«, fragte ich und wusste, ich würde gleich umkippen. Mir war flau. Ich ließ mich aufs Sofa sinken.
    »Alles klar?«, fragte er und kniete sich vor mich.
    Er kniete! Ich konnte nicht mehr. Mir kamen die Tränen. Hätte ich das geahnt! Was für Unterwäsche hatte ich an? Oh, nein. Schiesser, weiß.
    »Charly?«
    »Ja, alles bestens. Mir ging es noch nie so gut.«
    »Also, ich wollte dich fragen, ob wir vielleicht …«
    Ich nahm schnell einen Schluck. Jetzt ganz cool bleiben, Charly, ganz cool. Das musst du genießen, das passiert nur einmal im Leben – wenn alles gut geht.
    »… zusammenziehen wollen. Wenn ich hier zu dir …?«
    Jetzt nahm er einen Schluck.
    »Zusammenziehen?«, fragte ich in einem Ton, als hätte er gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm zum Fastenwandern nach Usedom zu fahren. Völlig abwegig.
    »Ja, also, ich kann natürlich auch in Hannover … wenn dir das zu schnell …«
    Puh.
    Eine Mischung aus Erleichterung, Belustigung über mich selbst und Scham überkam mich. Aber eines stand fest: Die weiße Schiesser-Wäsche kam sofort in die Tonne! Ab jetzt gab es nicht mehr zwei Fächer für Unterwäsche: die Montag-bis-Donnerstag-Schlüpfer – wenn er nicht da war – und die Wochenendwäsche für die Nächte mit ihm. Jetzt gab es nur noch ein Fach!
    Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und gab ihm einen Kuss. Auf die Zehenspitzen musste ich mich ja nicht stellen, so wie sonst, schließlich kniete er ja vor mir.
    »Voll gern!«
    *

Ich war überrascht – vor allem von der Tatsache, dass Micha sich bereits alles ganz genau überlegt hatte. Er hatte sogar schon eine Stelle in Hamburg. Klammheimlich gesucht und gefunden. So was!
    Micha erklärte mir, seine Eltern hätten es gern gesehen, wenn er ihr Restaurant, das nur wenige Kilometer von ihrem Haus in der Nähe von Kiel entfernt lag – ein echter Landgasthof mit Rotkohl und selbst gemachten Semmelknödeln, in dem er seine halbe Kindheit verbracht hatte –, übernommen hätte, aber den Gefallen hatte er ihnen nicht getan. Da auch die Geschwister es ablehnten, dicke Bauern zu füttern und Korn am Fließband auszuschenken, war das Restaurant »Zur glücklichen Henne« vor ein paar Jahren verkauft worden.
    Micha machte ein VWL-Studium, das ihn nicht immer interessierte, aber er zog es durch und bekam schließlich die Chance, bei einer Feinkostkette einzusteigen, die den Eltern eines Studienfreundes gehörte, der an Trüffel und Jacobsmuscheln kein Interesse hatte. Diesen Hintergrund hatte er seinen Eltern bis heute verschwiegen.
    Die Eigentümer hatten jedenfalls vor, auch in Hamburg eine Niederlassung aufzumachen. Und genau die sollte Micha übernehmen.
    Das war der schöne Teil dieses Wochenendes. Leider gab es am nächsten Abend auch noch einen anderen Teil

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