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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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der Hintertür Licht herein. Die Tür selbst hing schief im Rahmen, da das untere Scharnier herausgerissen war.
    Auf der Hälfte des Flurs bog die Blutspur nach rechts ab in die Küche. Ich ging ins Wohnzimmer, sah in alle dunklen Ecken, entdeckte die Glasscherben unter den Fenstern und was die Schüsse sonst noch angerichtet hatten: Holzsplitter und Stoffetzen des Vorhangs lagen herum, und aus der alten Couch, auf der Unmengen von Bierdosen lagen, quoll die Füllung heraus.
    Das Geschützfeuer der Maschinenpistole hatte ausgesetzt, als ich das Haus betreten hatte. Im Moment hörte ich nichts außer den Regentropfen auf der Veranda hinter mir, das Ticken einer Uhr irgendwo im hinteren Teil des Hauses und meinen eigenen abgehackten, flachen Atem.
    Die Bodendielen quietschten, als ich vorsichtig das Wohnzimmer durchquerte und der Blutspur im Flur folgte. Schweiß lief mir über das Gesicht und machte meine Hände feucht. Mein Blick schoß von der Tür am Ende des Ganges zu den vier Zimmertüren, die vor mir vom schmalen Flur abgingen. Die nächste Tür zu meiner Rechten, drei Meter entfernt, führte in die Küche. Durch die offene Tür links von mir fiel gelbes Licht in den Flur.
    Ich drückte mich gegen die rechte Wand und rückte Stück für Stück vor, bis ich den Raum zu meiner Linken größtenteils überblicken konnte. Es schien eine Art Aufenthaltsraum zu sein. Rechts und links von einer in der Wand eingelassenen Vitrine standen zwei Sessel. Einen davon hatte ich schon am Abend zuvor im Dunkeln erahnt. Der andere sah ähnlich aus. Die Vitrine befand sich in der Mitte der Wand, doch fehlten die Glastüren. In den Regalen lagen Stapel von Zeitungen und Hochglanzmagazinen, weitere Zeitschriften stapelten sich auf dem Boden neben den Sesseln. Zwei altmodische Zinnaschenbecher auf drei Beinen standen neben den Armlehnen der Ledersessel, und in einem qualmte eine nur zur Hälfte gerauchte Zigarre. Ich stand an die Wand gedrückt und zielte mit der Pistole auf den rechten Teil des Zimmers, wartete auf eine Bewegung im Dunkeln, lauschte auf eine quietschende Bodendiele.
    Nichts.
    Mit zwei Schritten war ich wieder im Flur, drückte mich gegen die andere Wand und richtete die Pistole in die Küche.
    Über den schwarzweiß gefliesten Boden zogen sich Streifen aus Blut und Schleim. Feuchte Fingerabdrücke, die im Neonlicht in kräftigem Orange leuchteten, prangten auf den Schränken und der Kühlschranktür. Rechts im Zimmer sah ich einen Schatten lauern und hörte jemanden stoßartig atmen.
    Ich holte einmal tief Luft, zählte von drei bis null und sprang am Türrahmen vorbei auf die andere Seite. Dabei erkannte ich, daß das Lesezimmer mit den Sesseln rechts von mir leer war. Dann starrte ich am Lauf meiner Pistole entlang auf Leon Trett, der auf dem Küchentresen saß und mich beobachtete.
    Direkt hinter der Tür lag eine Calico M-110. Beim Betreten der Küche trat ich sie unter den Tisch.
    Leon sah mich mit einem schmerzverzerrten Grinsen näher kommen. Er hatte sich den Bart abrasiert. Seine weiche, pockige Haut glänzte ungesund, irgendwie roh, als sei sie mit einer Drahtbürste geschrubbt und dann mit Öl eingerieben worden, so daß sie nun ohne weiteres vom Knochen abgelöst werden konnte. Ohne den Bart wirkte sein Gesicht länger. Die Wangen waren so eingefallen, daß sein Mund ein Oval bildete.
    Sein linker Arm hing schlaff herunter, aus einem Loch im Bizeps quoll dunkles Blut. Den rechten Arm drückte er auf seinen Bauch. Er versuchte, die Gedärme zurückzupressen. Die gelbbraune Hose war mit seinem Blut getränkt. »Bekomme ich jetzt die Munition?« fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Hab’ mir heute morgen selber welche geholt.«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Wer bist du?« fragte er mit leiser Stimme und hob die rechte Augenbraue. »Auf den Boden!« befahl ich.
    Er grunzte. »Schätzchen, du siehst doch wohl, daß ich meine Gedärme festhalte, oder? Wie soll ich mich damit bewegen, ohne daß sie rausfallen?«
    »Ist mir egal«, gab ich zurück. »Auf den Boden!«
    Er streckte den langen Unterkiefer vor. »Nein.«
    »Leg dich jetzt auf den Scheißboden!«
    »Nein«, sagte er wieder.
    »Leon! Los!«
    »Leck mich. Erschieß mich doch!«
    » Leon…«
    Kurz schweifte sein Blick nach links ab, und die Entschlossenheit wich aus seinem Unterkiefer. »Hab Mitleid mit mir Baby, bitte«, sagte er.
    Ich merkte wieder, daß sein Blick zur Seite glitt. Auf seinen Lippen erschien der Anflug eines Lächelns, und ich

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