Kein Kinderspiel
Umgebung wahrnahm, rauschte die kalte Angst durch meine Adern.
Ich befand mich in einem großen Zimmer, das zur Straße hinausging. Die Fenster waren vernagelt. Massive schwarze Planken waren mit je vierzig bis fünfzig kleinen Flachkopfnägeln, die mich jetzt von jedem Fenster mit ihren toten Silberaugen anstarrten, an den Rahmen befestigt worden.
Der nackte Fußboden war übersät mit Exkrementen von Mäusen und Ratten. Es lagen Tüten von Kartoffelchips, Maischips und Tortillachips herum, die Krümel waren ins Holz getreten. Drei unbezogene Matratzen, verschmutzt mit Fäkalien, Blut und Gott weiß, was sonst noch, lagen vor der Wand. Die Wände selbst waren mit Abschnitten aus grauem Schaumstoff und schalldichtem Styropor verkleidet, so wie es auch in Aufnahmestudios zu finden ist. Nur war das hier kein Aufnahmestudio.
Direkt über den nackten Matratzen waren Metallvorrichtungen in der Wand befestigt, an die kleine Ringe geschweißt worden waren, an denen wiederum Handschellen hingen. Ein kleiner Metallkorb in der westliche Ecke des Raumes enthielt eine Auswahl an Reitgerten, Peitschen, stacheligen Dildos und Lederbändern. Der ganze Raum roch nach verdorbenem, besudeltem Fleisch. Der Geruch der Verdorbenheit mußte den Menschen in den Kopf gestiegen und sich ihrer ermächtigt haben.
Roberta schlug nun nicht mehr gegen die Tür, doch hörte ich ihr unterdrücktes Jammern auf der Treppe.
Ich ging in die östliche Seite des Zimmers. Dort war eine Wand eingerissen worden, um den Raum zu vergrößern. Auf dem Boden lagen noch immer Häufchen von Gips und Staub. Eine dicke Maus mit hochstehendem Fell lief an mir vorbei, bog am östlichen Ende des Zimmers rechts ab und verschwand hinter der Wand.
Ich lief mit gezückter Waffe weiter, watete durch Chipstüten, Rundschreiben von der Vereinigung für Knabenliebhaber und leere Bierdosen, deren Löcher bereits Schimmel ansetzten. Auf billigstem Glanzpapier gedruckt, gähnten mich Zeitschriften an: Jungen, Mädchen, Erwachsene, selbst Tiere bei etwas, was kein Sex war, obwohl es so aussah. In dieser halben Sekunde, bevor ich mich abwenden konnte, brannten sich diese Fotos in mein Hirn ein. Was sie zeigten, was dort auf Zelluloid gebannt war, hatte nichts mit dem zu tun, was Menschen normalerweise miteinander taten. Sie dokumentierten eine Krankheit - kranke Köpfe, Herzen und Organe.
Ich kam zu der Ecke, wo die Maus verschwunden war. Dahinter entdeckte ich einen schmalen Raum unter der Dachschräge, der sich bis zur Regenrinne zog. Genau vor mir war eine kleine blaue Tür.
Davor stand Corwin Earle, den Rücken unter den Dachsparren gebeugt. Er richtete eine Armbrust auf mich. Er hatte sie auf seiner Schulter abgestützt und versuchte, mit dem linken Auge durch das Visier zu sehen, doch blinzelte er dabei immer wieder, weil ihm Schweiß ins Auge rann. Das kranke rechte Auge versuchte zu fokussieren, rutschte aber ständig ab, und er mußte es wie mit einem Motor wieder nach rechts ziehen. Schließlich kniff er es zusammen und korrigierte den Sitz der Armbrust auf seiner Schulter. Er war nackt. Seine Brust war mit Blut verschmiert, und auch auf dem vorstehenden Bauch prangten ein paar Tropfen. Überdruß und Trotz standen ihm ins traurig verzogene Gesicht geschrieben.
»Trauen dir die Tretts nicht zu, eine Maschinenpistole zu benutzen, Corwin?«
Er schüttelte leicht den Kopf.
»Wo ist Samuel Pietro?« fragte ich.
Erneut schüttelte er den Kopf, diesmal langsamer. Unter dem Gewicht der Armbrust spannte er die Schultern an.
Ich fixierte die Spitze des Pfeiles. Sie zitterte leicht. Auch an der Unterseite von Corwin Earles Armen liefen Schauer herunter.
»Wo ist Samuel Pietro?« wiederholte ich.
Wieder schüttelte er den Kopf. Ich schoß ihm in den Bauch.
Er gab keinen Laut von sich. Er klappte in der Hüfte nach vorne und ließ die Armbrust vor sich auf den Boden fallen. Dann sank er auf die Knie und kippte nach rechts um. Schließlich lag er wie ein Embryo zusammengekauert auf dem Boden. Die Zunge hing ihm aus dem Mund wie bei einem Hund.
Ich trat über ihn hinweg und öffnete die blaue Tür, hinter der sich ein Badezimmer von der Größe eines Einbauschranks befand. Ich erblickte das mit schwarzem Holz vernagelte Fenster, einen zerrissenen Duschvorhang, der unter dem Spülstein lag, und Blut auf den Fliesen, der Toilette und an der Wand, als sei ein ganzer Eimer entleert worden.
In der Spüle lag die weiße Baumwollunterwäsche eines Kindes. Sie war
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