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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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ließ mich in dem Moment auf die Knie fallen, als Roberta Trett auf die Stelle schoß, an der ich gerade noch gestanden hatte. Doch pustete sie statt dessen mit einem Dauerfeuer aus der M-110 ihrem Mann den Kopf vom Hals.
    Vor Entsetzen und Überraschung schrie sie gellend auf. Leons Gesicht verschwand wie ein Luftballon, in den man mit einer Nadel gestochen hat. Ich drehte mich auf den Rücken und drückte ab. Die Kugel traf sie an der rechten Hüfte. Sie fiel gegen die Wand.
    Dann wirbelte Roberta zu mir herum. Das wallende graue Haar schlug ihr ins Gesicht. Die M-110 zeigte leider ebenfalls in meine Richtung. Mit dem verschwitzten Finger griff sie zum Abzug, rutschte aber immer wieder vom Bügel ab. Mit der anderen Hand tastete sie nach der Wunde in der Hüfte, doch hielt sie den Blick unverwandt auf den kopflosen Rumpf ihres Mannes gerichtet. Ich sah in die Mündung des Maschinengewehrs und wußte, daß sie jeden Moment aus dem Schock erwachen und den Abzug betätigen konnte.
    Geduckt rannte ich aus der Küche zurück in den Flur. Als Roberta Trett sich um hundertachtzig Grad drehte und mit der Calico auf mich zielte, warf ich mich nach rechts. Dann richtete ich mich auf und lief auf die Hintertür zu, kam ihr immer näher, doch hörte ich gleichzeitig, daß Roberta hinter mir in den Flur getreten war.
    » Du hast meinen Leon umgebracht, du Arschloch! Du hast meinen Leon umgebracht!«
    Als Roberta den Finger um den Abzug krümmte und abdrückte, wurde der Gang wie von einem Erdbeben erschüttert.
    Ohne nachzudenken, warf ich mich durch die Tür links von mir und bemerkte zu spät, daß es gar kein Raum war, sondern eine nach oben führende Treppe.
    Mit der Stirn schlug ich gegen die siebte oder achte Stufe von unten. Der Zusammenprall von Holz und Knochen durchfuhr mich wie ein elektrischer Schlag. Ich hörte Robertas schwere Schritte den Flur entlang auf die Treppe zustolpern.
    Was mich am meisten beunruhigte, war, daß sie nicht schoß.
    Sie wußte, daß ich in der Falle saß.
    Ich schlug mit dem Schienbein gegen die Kante einer Stufe. Es tat höllisch weh. Ich rutschte aus und kletterte höher. Am Ende der Treppe erblickte ich eine Metalltür. Ich betete, bitte, lieber Gott, bitte laß sie offen sein.
    Roberta erreichte das untere Treppenende. In dem Moment sprang ich auf die Tür zu, schlug mit dem Handrücken dagegen und merkte, daß sie nachgab.
    Ich fiel mit dem Oberkörper der Länge nach hin, und hinter mir entlud Roberta ihre Waffe. Ich warf mich nach links und schlug die Tür hinter mir zu. Es klang, als schlage schweres Blei auf ein Blechdach. Die Tür war massiv und dick - wie in einem Kühlraum oder Kellergewölbe - und von innen mit vier Bolzenschlössern versehen, das erste in knapp fünfzehn Zentimetern Höhe, das letzte ungefähr ein Meter sechzig über dem Boden. Ich verriegelte eins nach dem anderen und hörte die Kugeln auf der anderen Seite vom Stahl abprallen. Die Tür war kugelsicher, und sie konnte die Schlösser nicht von außen aufschießen, da sie auf meiner Seite mit Stahlplatten gesichert waren.
    »Du hast meinen Leon umgebracht!«
    Jetzt wurde nicht mehr geschossen. Statt dessen stieß Roberta auf der anderen Seite der Tür das Geheul einer Wahnsinnigen aus. Es klang so verletzt und war von solch furchtbarer Einsamkeit durchdrungen, daß sich etwas in meiner Brust verkrampfte.
    »Du hast meinen Leon umgebracht! Du hast ihn umgebracht! Ich bringe dich um! Du Schwein!«
    Etwas Schweres schlug gegen die Tür. Beim zweiten Mal wurde mir klar, daß es Roberta Trett selbst war, die ihren überdimensionierten Körper wie einen Ramm bock immer wieder gegen die Tür warf. Sie heulte, kreischte, rief den Namen ihres Mannes und warf sich ohne Unterlaß gegen das einzige Hindernis zwischen uns: bumm, bumm, bumm.
    Selbst wenn sie ihre Waffe verloren hatte und ich meine noch besaß, wußte ich doch, daß sie mich mit bloßen Händen in Stücke reißen würde, wenn sie jemals ins Zimmer gelangen sollte, selbst wenn ich ein ganzes Magazin auf sie abfeuerte. »Leon! Leon!«
    Ich horchte auf das Geheul von Sirenen, auf das Krächzen von Walkie-talkies, das Blöken eines Megaphons. Die Polizei müßte doch inzwischen längst da sein. Ganz bestimmt.
    Da kam mir die Erkenntnis, daß ich außer Robertas Geschrei nichts hören konnte. Und auch sie vernahm ich nur, weil sie direkt auf der anderen Seite der Tür war.
    Eine nackte Vierzig-Watt-Birne beleuchtete den Raum. Als ich mich umdrehte und meine

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