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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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blutgetränkt.
    Ich sah in die Badewanne.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort mit gesenktem Kopf und offenem Mund stand. Ich fühlte etwas Heißes, Nasses auf meinen Wangen, es floß in Strömen, doch erst als ich eine halbe Ewigkeit auf den kleinen, nackten, zusammengerollten Körper in der Badewanne gestarrt hatte, merkte ich, daß ich weinte.
    Ich verließ das kleine Badezimmer und sah Corwin Earle auf den Knien vorwärtsrutschen. Er hatte die Arme um den Bauch geschlungen und mir den Rücken zugewandt.
    Ich blieb hinter ihm stehen und wartete. Ich richtete die Waffe auf ihn, sein schwarzes Haar befand sich genau auf einer Linie mit dem schwarzen Metallauf.
    Er gab beim Kriechen ein tuckerndes Geräusch von sich, ein schwaches Tsch-tsch-tsch, das mich an das Tuckern eines Generators erinnerte.
    Als er die Armbrust erreicht hatte und eine Hand nach dem Griff ausstreckte, sagte ich: »Corwin.«
    Er sah sich über die Schulter nach mir um, bemerkte die auf ihn gerichtete Pistole und kniff die Augen zusammen. Dann wandte er sich wieder ab und umklammerte die Armbrust fest mit der blutverschmierten Hand.
    Ich versetzte ihm einen Schuß in den Nacken und ging weiter, hörte die Patronenhülse über den Holzboden gleiten und Corwin auf dem Boden aufschlagen. Dann ging ich nach links ins große Zimmer und lief auf die Tür des Verlieses zu. Ich öffnete einen Riegel nach dem anderen.
    »Roberta«, sagte ich, »bist du noch da? Kannst du mich hören? Ich bring dich jetzt um, Roberta.«
    Als ich das letzte Schloß entriegelt hatte, riß ich die Tür auf und blickte in den Lauf eines Gewehrs.
    Remy Broussard ließ seine Waffe sinken. Zwischen seinen Beinen lag Roberta Trett mit dem Gesicht auf den Treppenstufen. In ihrem Rücken gähnte ein dunkelrotes Oval von der Größe einer Suppenschüssel.
    Broussard hielt sich am Geländer fest. Der Schweiß rann ihm wie warmer Regen aus dem Haar.
    »Mußte das Schloß in der Spundwand aufbrechen und dann durch den Keller hochkommen«, sagte er. »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat.«
    Ich nickte.
    »Alles klar hier?« Er atmete tief ein und beobachtete mich mit dunklen Augen.
    »Ja.« Ich räusperte mich. »Corwin Earle ist tot.«
    »Samuel Pietro?« fragte er.
    Ich nickte. »Ja, ich glaube, es ist Samuel Pietro.« Ich blickte auf meine Pistole hinunter und sah, daß sie wackelte, so sehr zitterte mein Arm. Mein Körper wurde von einem nervösen Schütteln heimgesucht, als erlitte ich mehrere kleine Schlaganfälle. Ich sah zu Broussard auf und fühlte wieder die warmen Bäche aus meinen Augen springen. »Ich kann es nicht sagen«, flüsterte ich, und mir brach die Stimme.
    Broussard nickte. Ich sah, daß auch er weinte.
    »Im Keller«, brachte er hervor.
    »Was?«
    »Skelette«, antwortete er. »Zwei Stück. Kinder.«
    Meine Stimme klang nicht wie meine eigene, als ich sagte: »Ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll.«
    »Ich auch nicht«, gab er zurück.
    Wir warfen einen Blick auf die Leiche von Roberta Trett. Broussard senkte das Gewehr und legte es an ihren Hinterkopf. Dann krümmte er den Finger um den Abzug.
    Ich dachte, nun würde er die leblose Gehirnmasse im ganzen Treppenhaus verteilen.
    Doch nach einer Weile hob er das Gewehr wieder und seufzte. Mit dem Fuß trat er ihr gegen den Kopf und schubste sie so die Treppe hinunter.
    Das war der Anblick, der sich den Polizisten von Quincy bot, als sie die Tür zur Treppe öffneten: Roberta Tretts riesige Leiche rutschte aus der Dunkelheit auf sie zu. Oben am Treppenabsatz standen zwei Männer, die wie Kinder weinten, weil sie nicht gewußt hatten, daß die Welt so grausam sein konnte.

26
    Es dauerte zwanzig Stunden, bis bestätigt werden konnte, daß die Leiche in der Badewanne tatsächlich die von Samuel Pietro war. Durch das, was die Tretts und Corwin Earle mit seinem Gesicht angestellt hatten, war ein Vergleich der Zahnabdrücke die einzig mögliche Form der Identifizierung. Gabrielle Pietro erlitt einen Zusammenbruch, als sie, bevor die Polizei sie hatte benachrichtigen können, von einem Journalisten der News auf einen Tip hin angerufen und um eine Stellungnahme zum Tod ihres Sohnes gebeten wurde.
    Als ich Samuel Pietro fand, war er seit gerade 45 Minuten tot. Der Amtsarzt stellte fest, daß der Junge in den zwei Wochen seit seinem Verschwinden wiederholt sexuell mißbraucht, auf Rücken, Gesäß und Beine gepeitscht und mit so eng sitzenden Handschellen gefesselt worden war, daß das Fleisch an seinen

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