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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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dunkler geworden. Die Schatten krochen über die Kinder auf dem Feld, schienen sie schrumpfen zu lassen. »Ich hab ein paarmal auf sie aufgepaßt. Immer ohne Absprache. Helene kam einfach vorbei und fragte: >Kannst du mal kurz auf sie aufpassen?< Sechs oder sieben Stunden später kam sie zurück und holte sie ab. Ich meine, was soll man da sagen, nein vielleicht?« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Amanda war so still. Es gab nie Ärger mit ihr. Kein einziges Mal. Aber das ist doch nicht normal für eine Vierjährige! Man konnte sie einfach irgendwo hinsetzen, da blieb sie dann und starrte die Wand an oder den Fernseher oder sonstwas. Sie hat nie das Spielzeug meiner Kinder in die Hand genommen oder die Katze geärgert oder so etwas. Sie saß einfach nur da und fragte nicht ein einziges Mal, wann ihre Mutter zurückkäme und sie abholte.«
    »Ist sie geistig zurückgeblieben?« fragte ich. »Vielleicht autistisch?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn man mit ihr redet, antwortet sie ganz normal. Es überrascht sie immer ein bißchen, aber sie ist wirklich nett und spricht sehr gut für ihr Alter. Nein, sie ist ein kluges Mädchen. Nur nicht leicht aus der Reserve zu locken.«
    »Und das kommt einem komisch vor«, bemerkte Angie.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ja, schätze schon. Wissen Sie, wie das ist? Ich habe das Gefühl, daß sie daran gewöhnt war, nicht beachtet zu werden.« Eine Taube flog im Tiefflug über die Abwurfstelle hinweg, und ein Kind warf den Handschuh nach ihr. Frances lächelte uns kaum merklich an. »Ich schätze, das nervt ganz schön.«
    Sie wandte sich ihrer Tochter zu, die zum Schlagmal ging. Sie hielt den Schläger schief in der Hand, während sie den Ball und das T vor sich betrachtete.
    »Schlag ihn aus dem Stadion, Jessica!« rief Frances. »Los, das schaffst du!«
    Ihre Tochter drehte sich um und sah sie an. Sie grinste. Dann schüttelte sie ein paarmal den Kopf und warf den Schläger auf den Boden.

7
    Nach dem Spiel fuhren wir auf ein Bier und etwas zu essen ins Ashmont Grille, wo Angie mit einem verspäteten Zusammenbruch auf die Geschehnisse im Filmore Tap reagierte.
    Im Ashmont Grille wurde gekocht wie früher bei meiner Mutter: Hackbraten mit Kartoffeln und richtig viel Sauce, und die Kellnerinnen benahmen sich auch alle wie Mütter. Wenn man den Teller nicht vollkommen leer aß, fragten sie, was die hungernden Kinder in Afrika wohl dazu sagen würden. Ich war immer darauf gefaßt, daß sie mich nicht aufstehen lassen würden, solange ich den Teller nicht leer gegessen hatte.
    In dem Fall hätte Angie eine Woche lang dort sitzen müssen, so wie sie in ihrem Chicken Marsala herumstocherte. Obwohl Angie eine so zierliche, schmale Person war, konnte sie normalerweise schaufeln wie ein Fernfahrer nach einer Zehn-Stunden-Schicht. Aber heute wickelte sie die Nudeln um die Gabel und vergaß sie sofort wieder. Sie legte die Gabel auf den Teller zurück, trank einen Schluck Bier und starrte in die Ferne, so als suche sie wie Helene McCready nach einem Fernsehapparat.
    Als sie sich den vierten Bissen in den Mund schob, hatte ich bereits alles verputzt. Das nahm Angie zum Anlaß, ihre Mahlzeit zu beenden. Sie schob den Teller in die Mitte des Tisches.
    »Man kennt die Leute nie so richtig«, bemerkte sie, die Augen auf den Tisch gerichtet. »Oder? Man versteht sie nicht. Es geht nicht. Man kann nicht… ergründen, warum sie das tun, was sie tun, warum sie so denken. Wenn man nicht genauso denkt, hat man keine Chance, oder?« Sie blickte zu mir auf, die Augen gerötet und feucht. »Meinst du Helene?«
    »Helene«, sie räusperte sich , »Helene und Big Dave und die Typen in der Kneipe und wer Amanda entführt hat. Es geht mir nicht in den Kopf. Sie sind …« Eine Träne fiel auf ihre Wange. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort. »Scheiße.«
    Ich ergriff ihre Hand, und sie biß auf der Innenseite ihrer Wangen herum und blickte zum Ventilator an der Decke.
    » Ange«, versuchte ich es, »diese Kerle im Filmore, die sind der Abschaum. Die sind keinen einzigen Gedanken wert.«
    »Aham.« Sie atmete mit offenem Mund tief ein, und ich konnte hören, wie sich die Luft an dem Kloß in ihrem Hals vorbeidrängte. »Ja.«
    »Hey«, sagte ich. Ich strich ihr mit der Hand über den Unterarm. »Das meine ich ernst. Die Kerle sind Nieten. Sie sind…«
    »Sie hätten mich vergewaltigt, Patrick. Das weiß ich ganz genau.« Sie sah mir ins Gesicht, und ihr Mund zuckte nervös, bis sie ihn zu

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