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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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damals, wie man den Ball abtropfen ließ und unter dem Tag Play des zweiten Basemans durchtauchte. Die Väter prüften uns auf der Abwurfstelle mit schnellen oder mit Effet geworfenen Bällen. Unsere Spiele gingen über sieben Innings, bei denen wir uns erbitterte Schlachten mit den anderen Gemeinden lieferten. Und als wir mit sieben oder acht in die Mini-Liga kamen, hatten sich die Teams aus St. Bart’s, St. William’s und St. Anthony’s aus North Dorchester schon einen gefürchteten Ruf erkämpft.
    Ich stand mit Angie auf der Tribüne und sah ungefähr dreißig kleinen Jungen und Mädchen zu, die wie Verrückte herumliefen und die Bälle verpaßten, weil sie sich die Mütze ins Gesicht zogen oder gerade die untergehende Sonne anstarrten. Ich war mir ziemlich sicher, daß die Methoden in meiner Kindheit besser auf die Härte des Baseballs vorbereiteten, doch schienen mir die Kinder beim T-Ball deutlich mehr Spaß zu haben.
    Zum ersten konnte ich nicht erkennen, daß sie mit Outs spielten. Das gesamte Aufgebot jeder Mannschaft war nacheinander mit dem Schlagen an der Reihe. Sobald alle fünfzehn Kinder geschlagen hatten, wechselten die Teams Schläger gegen Handschuhe aus. Der Spielstand wurde nicht festgehalten. War eins der Kinder aufmerksam genug, den Ball zu fangen und den Runner mit dem Ball zu berühren, wurden beide Kinder vom Basecoach überschwenglich gelobt, und der Läufer durfte auf der Base bleiben. Einige Eltern riefen: »Jetzt nimm doch den Ball in die Hand, Andrea!« oder »Los, Eddie, lauf! Nein, nicht dahin! In die andere Richtung!« Doch meistens beklatschten Eltern und Trainer jeden Treffer, der mehr als eineinhalb Meter weit rollte, jeden zurückgeworfenen Ball, der irgendwo in der Nähe des Feldes herunterkam, und jeden erfolgreichen Lauf vom ersten zum dritten Mal, selbst wenn das Kind dafür über die Abwurfstelle lief.
    Amanda McCready hatte in dieser Liga gespielt. Sie war von Lionel und Beatrice angemeldet und zu den Spielen gebracht worden. Sie war bei den Orioles gewesen, und ihr Trainer erzählte uns, sie habe normalerweise den zweiten Baseman gespielt und konnte ganz gut fangen, solange sie sich nicht für den Vogel auf ihrem T-Shirt interessierte.
    »Ein paar Bälle hat sie deswegen verschlafen«, lächelte Sonya Garabedian kopfschüttelnd. »Sie stand immer da hinten, wo Aaron jetzt steht, und zog an ihrem T-Shirt herum und betrachtete den Vogel. Manchmal sprach sie sogar mit ihm. Wenn ein Ball in ihre Richtung kam, na, dann mußte er halt warten, bis sie den schönen Vogel lange genug angesehen hatte.«
    Der rundliche und für sein Alter ziemlich große Junge, der jetzt an dem T stand, pfefferte den Ball weit nach links, und alle Außenfeldspieler und die meisten Innenfeldspieler rannten ihm hinterher. Als der dicke Junge die zweite Base erreicht hatte, überlegte er es sich anders und lief zu den kreischenden Kindern im Außenfeld, die sich gegenseitig anrempelten und zu Boden warfen.
    »So was hätte Amanda nie getan«, sagte Sonya Garabedian.
    »Was? Einen Homerun schlagen?«
    Sonya schüttelte den Kopf. »Na ja, das auch. Aber ich meine, sehen Sie diesen Haufen von Kindern da hinten? Wenn jetzt nicht einer von uns da rübergeht und dem eine Ende macht, dann spielen sie gleich >Wer ist zuerst oben?< und vergessen, warum sie überhaupt hier sind.«
    Zwei Erwachsene gingen auf den Platz und liefen zu dem Durcheinander von Kindern, die sich immer wieder auf die anderen warfen und wie Zirkusartisten von dem Haufen purzelten. Sonya zeigte auf ein kleines rothaariges Mädchen, das an der dritten Base stand. Sie war ungefähr fünf Jahre alt und kleiner als die meisten Mannschaftskameraden. Das Trikot hing ihr bis auf die Schienbeine. Sie schaute dem Tohuwabohu auf dem Außenfeld zu, zu dem sich immer mehr Kinder gesellten, dann bückte sie sich und fing an, mit einem Stein im Gras herumzugraben.
    »Das ist Kerry«, sagte Sonya. »Egal was passiert, selbst wenn ein Elefant aufs Feld käme und alle Kinder den Rüssel herunterrutschen lassen würde, Kerry wäre nicht dabei. Sie käme einfach nicht auf die Idee.« »Ist sie so schüchtern?« fragte ich.
    »Daran liegt es nur teilweise.« Sie nickte. »Es liegt eher daran, daß sie nicht auf die Dinge anspricht, die bei allen anderen Kindern ankommen. Sie ist eigentlich nicht richtig traurig, aber auch nie richtig froh. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Einen Augenblick hob Kerry den Kopf und blinzelte mit ihrem Sommersprossengesicht in

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