Kein Kinderspiel
es ihm nicht nachweisen. An Leon bleibt nur wenig kleben. Er ist sehr vorsichtig, und er weiß, wann er untertauchen muß.«
»Offensichtlich«, bemerkte Angie mit verbittertem Tonfall.
Poole legte seine Hand auf ihre. »Behaltet die Fotos. Prägt sie euch ein! Und haltet die Augen offen, falls ihr einen von den dreien seht. Ich weiß nicht, ob sie etwas mit der Sache zu tun haben - schließlich behauptet das nur ein Knastbruder -, aber sie sind momentan die auffälligsten verurteilten Kinderschänder in dieser Gegend.«
Angie lächelte mit Blick auf Pooles Hand. »Okay.«
Broussard hob seine seidene Krawatte hoch und entfernte einen Fussel. »Mit wem war Helene McCready am Sonntag abend im Filmore?«
»Mit Dottie Mahew«, antwortete Angie.
»Sonst noch jemand?«
Weder Angie noch ich sagten etwas.
»Nicht vergessen«, mahnte Broussard, »keine Geheimnisse!«
»Skinny Ray Likanski«, verriet ich.
Broussard wandte sich Poole zu. »Erzähl mir, was du über den Typen weißt, Kollege!«
»Dieser Schurke!« fluchte Poole. »Wenn ich daran denke, daß wir seine Heiligkeit noch vor knapp einer Stunde in den Händen hatten.« Er schüttelte den Kopf. » Na, das ging ja toll daneben.«
»Wieso?« fragte ich.
»Skinny ist ein berufsmäßiger Nichtsnutz. Hat er von seinem Vater. Er weiß wahrscheinlich, daß wir ihn suchen, und ist untergetaucht. Für ‘ne Zeitlang wenigstens. Hat uns wahrscheinlich nur erzählt, ihr beiden würdet im Filmore mit Knarren herumfuchteln, damit wir ihn laufen ließen und er Zeit hatte, sich aus dem Staub zu machen. Die Likanskis haben Verwandte in Allegheny, Remy. Kannst du vielleicht …«
»Ich rufe die Kollegen da an«, sagte Broussard. »Können wir eine Rasterfahndung nach ihm einleiten?«
Poole schüttelte den Kopf. »Er ist seit fünf Jahren nicht mehr verurteilt worden. Nichts abzusitzen. Kein Bewährungshelfer. Er ist sauber.« Poole klopfte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Irgendwann taucht er wieder auf. Unkraut vergeht nicht.«
»Alle fertig?« fragte Broussard, als die Kellnerin an den Tisch trat.
Poole zahlte die Rechnung, und wir gingen nach draußen.
»Wenn ihr wetten würdet«, sagte Angie, »was würdet ihr sagen, ist mit Amanda McCready passiert?«
Broussard holte einen Streifen Kaugummi heraus und stopfte sich ihn in den Mund, kaute langsam. Pool rückte seine Krawatte zurecht und studierte sein Spiegelbild im Beifahrerfenster seines Autos.
»Ich würde sagen«, entgegnete Poole, »es steckt nichts Gutes dahinter, wenn eine Vierjährige seit mehr als achtzig Stunden vermißt wird.«
»Detective Broussard?« fragte Angie.
»Ich würde sagen, sie ist tot, Ms. Gennaro.« Er ging um den Wagen herum zur Fahrertür und öffnete sie. »Wir leben in einer häßlichen Welt, die es mit Kindern noch nie gut gemeint hat.«
6
Im Savin Hill Park trugen die Astros gegen die Orioles ein abendliches Match aus, doch hatten beide Mannschaften offensichtlich Probleme mit den Bewegungsabläufen. Als ein guter Schläger der Astros einen Ball bis zur Third Base Line drosch, verschlief der dritte Baseman, den Ball zu fangen und zurückzuwerfen, weil er an dem Unkraut zu seinen Füßen herumzupfte. Da nahm sich der Baserunner der Astros den Ball und lief mit ihm auf die Homebase zu. Kurz bevor er das Schlagmal erreichte, warf er den Ball in die ungefähre Richtung des Pitchers, der ihn aufhob und zum ersten Baseman weiterwarf. Der fing den Ball, doch anstatt den Runner mit dem Ball zu berühren, drehte er sich um und warf ihn ins Außenfeld. Centerfielder und Rightfielder stießen über dem Ball zusammen und gerieten aneinander. Der Leftfielder winkte seiner Mutter zu.
Die T-Ball-Liga für Vier-bis Sechsjährige von North Dorchester spielte einmal pro Woche auf dem kleineren der beiden Felder im Savin-Hill-Park, der durch einen Maschendrahtzaun vom ungefähr fünfzig Meter entfernten Southeast Expressway abgetrennt war. Von Savin Hill kann man auf die Schnellstraße und auf eine kleine Bucht namens Malibu Beach sehen, wo angeblich die Boote des Dorchester Yacht Clubs vor Anker liegen. Mein ganzes Leben lang habe ich noch nie eine einzige Yacht in dieser Bucht festmachen sehen, aber vielleicht habe ich immer an den falschen Tagen nachgeguckt.
Als ich zwischen vier und sechs war, spielten wir Baseball, weil es damals noch kein T-Ball gab. Damals hatten wir Trainer und Eltern, die am Spielfeldrand standen und lauthals Konzentration einforderten. Wir Kinder wußten schon
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