Kein Kinderspiel
langsam verätzt, wie Gift. Das ist Helene. Sie ist Arsen.« Sie nickte sich zu und wiederholte flüsternd: »Sie ist Arsen.«
Ich nahm ihre Hand in meine. »Ich kann sofort vom Auto aus telefonieren und den Fall abgeben.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall! Diese Leute, diese egoistischen Schweine wie Big Dave und Helene, die machen die Welt kaputt. Aber ich weiß, daß sie ernten werden, was sie gesät haben. Gut so. Aber ich tue keinen einzigen Schritt mehr, bis wir das Mädchen gefunden haben. Beatrice hatte recht. Sie ist allein. Und keiner steht für sie ein.«
»Außer uns.«
»Außer uns.« Sie nickte. »Ich werde das Kind finden, Patrick.«
Ihre Augen leuchteten so wild, wie ich es noch nie bei ihr erlebt hatte.
»Okay, Ange«, willigte ich ein. »Gut.«
»Okay.« Sie stieß mit mir mit der Bierdose an.
»Und wenn sie schon tot ist?« fragte ich.
»Ist sie nicht«, widersprach Angie. »Das kann ich spüren.«
»Aber wenn doch?«
»Ist sie nicht.« Sie leerte ihre Dose und warf sie in den Beutel auf dem Boden. »Ist sie einfach nicht.« Sie sah mich an. »Verstanden?«
»Klar«, sagte ich.
In meiner Wohnung verließen Angie fast auf der Stelle jede Energie und Kraft, so daß sie auf der Bettdecke einschlief. Ich zog sie unter ihr hervor, deckte sie damit zu und machte das Licht aus.
Ich setzte mich an den Küchentisch, schrieb Amanda McCready auf eine Aktenmappe und faßte die letzten vierundzwanzig Stunden auf ein paar Blatt Papier zusammen: unsere Gespräche mit den McCreadys, den Männern im Filmore und den Eltern beim T-Ball-Spiel. Als ich fertig war, stand ich auf, nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank und trank es noch im Stehen mitten in der Küche. Ich hatte die Rollos vor den Fenstern nicht heruntergezogen, und jedes Mal, wenn ich auf eines der dunklen Quadrate blickte, grinste mich Gerry Glynns Gesicht an, das Haar mit Diesel getränkt, das Gesicht besprenkelt mit dem Blut seines letzten Opfers, Phil Dimassi. Ich zog die Rollos herunter.
Patrick, flüsterte Gerry in meinem Kopf, ich warte auf dich.
Als Angie, Oscar, Devin, Phil Dimassi und ich den Kampf gegen Gerry Glynn, seinen Partner Evandro Arujo und einen inhaftierten Irren namens Alec Hardiman aufnahmen, war wohl keinem von uns klar, welchen Preis wir dafür zahlen würden. Gerry und Evandro hatten Menschen ausgelöscht, hatten sie enthauptet, ausgeweidet und gekreuzigt, einfach weil sie es lustig fanden oder weil sie einen Haß verspürten oder weil Gerry wütend auf Gott war oder ohne jeden Grund. Ihre Beweggründe habe ich niemals richtig verstanden. Und ich glaube auch nicht, daß irgend jemand das verstehen kann. Früher oder später verblassen die Motive vor den Taten, die daraus erwachsen.
Ich träumte oft von Gerry. Immer nur von ihm. Nicht von Evandro, nicht von Alec Hardiman. Immer nur von Gerry. Wahrscheinlich, weil ich ihn schon mein Leben lang gekannt hatte. Als er noch Polizist war und bei uns im Viertel seine Runde machte. Er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und strich uns Kindern freundlich übers Haar. Als Gerry sich zur Ruhe gesetzt hatte und Inhaber und Wirt des Black Emerald geworden war, hatte ich mit ihm getrunken und mich nächtelang mit ihm unterhalten. Ich hatte mich bei ihm wohl gefühlt, ihm vertraut. Und die ganze Zeit, dreißig Jahre lang, hatte er ausgerissene Kinder getötet. Ein vergessenes Volk, nach dem niemand suchte und das niemand vermißte.
Ich hatte verschiedene Alpträume, doch meistens brachte Gerry darin Phil um. Vor meinen Augen. Tatsächlich hatte ich nicht gesehen, wie er Phil die Kehle durchschnitt, obwohl ich nur zweieinhalb Meter entfernt gewesen war. Ich hatte auf dem Boden von Gerrys Kneipe gelegen und seinen deutschen Schäferhund davon abgehalten, die Zähne in mein Gesicht zu schlagen. Aber ich hatte Phil schreien hören, ich hatte gehört, wie er kreischte: »Nein, Gerry! Nicht!« Und er war in meinen Armen gestorben.
Phil Dimassi war zwölf Jahre lang mit Angie verheiratet gewesen. Bis zu ihrer Hochzeit war er auch mein bester Freund. Nachdem Angie die Scheidung einreichte, hatte Phil zu trinken aufgehört und sich wieder eine Arbeit gesucht. Ich glaube, er war auf dem Weg zu einer Art Rehabilitation. Aber Gerry hatte das vereitelt.
Gerry hatte Angie in den Bauch geschossen. Er hatte mir mit einer Rasierklinge in den Kiefer geschnitten. Gerry hatte dazu beigetragen, daß meine Beziehung zu einer Frau namens Grace Cole und ihrer Tochter Mae in
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