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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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trieb umher, dann fand ich wieder das Nummernschild, das so zerbeult war, als sei es von starken Händen zerdrückt worden.
    Vielleicht war es ja tatsächlich ein Stein gewesen. Das helle Licht, das grüne Wasser und die schwarze Umgebung konnten meinen Augen einen Streich gespielt haben. Wenn es ein Körper gewesen wäre, hätten wir ihn längst gefunden. Außerdem schwammen Leichen nicht. Nicht in den Steinbrüchen.
    »Ich hab’ was!«
    Ich folgte Angies Licht, bis beide Strahlen den runden Kopf und die toten Augen von Amanda McCreadys Puppe Pea erfaßten. Sie schwamm auf dem Rücken im grünen Wasser. Das Kleid mit dem Blumendruck war schmutzig und durchnäßt.
    O Gott, dachte ich. Nein.
    »Patrick«, sagte Angie, »sie ist vielleicht da unten.«
    »Warte…«
    »Sie ist vielleicht da unten«, wiederholte Angie. Dann hörte ich einen Tritt, als sie sich auf den Rücken rollte und den linken Schuh abstreifte.
    »Angie, warte. Wir sollen doch …«
    Auf der anderen Seite des Steinbruchs ging die Baumreihe hinter den Klippen in Feuer auf. Mündungsfeuer platzte durch die Zweige. Gelb und weiß explodierte die Luft.
    »Ich sitze fest! Ich sitze fest!« schrie Broussard über das Walkie-talkie. »Brauche sofort Unterstützung! Ich wiederhole: Brauche sofort Unterstützung!«
    Ein Splitter prallte vom Boden ab und sprang mir an die Wange. Und plötzlich begannen die Bäume hinter uns zu summen und mit den Zweigen zu peitschen, und vom Gestein zu unseren Füßen prallten metallisch schwirrende Funken ab.
    Angie und ich robbten vom Abhang fort. Ich sprach in das Walkie-talkie. »Hier ist Kenzie. Wir sind unter Beschuß. Ich wiederhole: Wir sind unter Beschuß von der Südseite des Steinbruchs.«
    Ich kroch noch weiter in die Dunkelheit und sah meine Taschenlampe am Klippenrand liegen, wo ich sie vergessen hatte. Sie warf ihren Lichtkegel noch immer über den See. Wer vom anderen Ufer aus schoß, zielte wahrscheinlich auf dieses Licht wie auf einen Leuchtturm.
    »Bist du verletzt?«
    Angie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Bin sofort wieder da.«
    »Was?«
    Ein erneuter Kugelhagel trommelte auf die Felsen und Bäume hinter uns. Ich hielt den Atem an, wartete auf eine Pause. Als es plötzlich still war, eine ohrenbetäubende Stille, stolperte ich durch die Dunkelheit und schlug die Taschenlampe mit dem Handrücken über den Abhang ins Wasser hinunter. »Scheiße!« sagte Angie, als ich wieder bei ihr war. »Was sollen wir tun?« »Keine Ahnung. Wenn die Nachtsichtgeräte an den Gewehren haben, sind wir tot.«
    Wieder wurde das Feuer eröffnet. Hinter Angie wirbelte das Laub der Bäume umher. Kugeln blieben in den Stämmen stecken, peitschten gegen dünne Äste. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde das Mündungsfeuer unterbrochen, der Schütze nahm uns erneut ins Visier, dann hörten wir, wie etwas Metallisches in den Fels vor uns einschlug. Die Schüsse hämmerten auf das Gestein wie ein Hagelsturm. Wenn der Schütze den Arm nur zwei, drei Zentimeter hob, würden uns die Kugeln ins Gesicht treffen.
    »Brauche Unterstützung!« schrie Broussard über das Walkie-talkie. »Jetzt sofort! Werde von zwei Seiten unter Beschuß genommen!«
    »Unterstützung ist unterwegs«, antwortete eine ruhige, kühle Stimme.
    Ich drückte auf den Sendeknopf, als der Beschuß kurz nachließ: »Broussard?«
    »Ja. Seid ihr in Ordnung?«
    »Wir sitzen fest.«
    »Ich auch.« Wieder war unversehens ein Kugelhagel von seiner Seite zu vernehmen. Als ich über den See blickte, konnte ich das gleichmäßige weiße Mündungsfeuer in den Bäumen erkennen.
    »Verfluchtes Schwein!« schrie Broussard.
    Dann wurde es plötzlich taghell, als sich zwei Hubschrauber mitten über den See stellten. Die Scheinwerfer an ihrem Bug waren so stark, daß sie ein ganzes Stadion erhellt hätten. Kurzfristig war ich von dem gleißenden Licht geblendet. Alles verlor seine Farbe, wurde weiß: die Bäume, die Klippen, das Wasser.
    In dem zornigen Weiß tauchte plötzlich ein langer, dunkler Gegenstand auf, der über der Baumreihe einen Bogen beschrieb, sich in der Luft überschlug und dann über den Abhang ins Wasser fiel. Ich verfolgte den Gegenstand und konnte ihn als Gewehr identifizieren, bevor er aus meinem Blickfeld verschwand. Der Beschuß von den Bäumen am anderen Ufer ließ nicht nach.
    Dann war Schluß. Ich blickte ins grelle Licht und erkannte gerade noch das stumpfe Ende eines zweiten Gewehrs, das durch die Dunkelheit ins Wasser fiel.
    Ein Hubschrauber stand

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