Kein Lebenszeichen
Sumpfgebieten New Jerseys. Über New Jersey wird viel gelästert, vor allem weil unsere meistbefahrenen Nebenstraßen durch die potthässlichsten Gebiete des so genannten Garden State führen. Ich gehöre zu den hartnäckigen Fürsprechern meines Heimatstaats. Überraschenderweise ist der größte Teil New Jerseys nämlich hinreißend, die Kritiker punkten aber in zwei Bereichen. Erstens: Unsere Städte sind mehr als schäbig. Trenton, Newark oder Atlantic City, Sie können es sich aussuchen. Alle haben einen schlechten Ruf, und zwar völlig zu Recht. Nehmen wir zum Beispiel Newark. Freunde von mir sind in Quincy, Massachusetts, aufgewachsen. Sie erzählen immer, dass sie aus Boston kommen. Andere Freunde von mir sind in Bryn Mawr aufgewachsen. Sie sagen, sie kommen aus Philadelphia. Ich bin keine fünfzehn Kilometer vom Zentrum Newarks entfernt aufgewachsen, habe aber nie zu irgendjemandem gesagt, dass ich aus Newark komme – und auch von anderen habe ich das noch nie gehört.
Zweitens – und es interessiert mich nicht, was andere dazu sagen – liegt ein unangenehmer Geruch über den Sümpfen im Norden New Jerseys. Oft nur ganz schwach, aber trotzdem unverkennbar. Er ist unangenehm. Er riecht nicht nach Natur. Er riecht nach Rauch und Chemikalien und einem undichten Klärbehälter. Dieser Geruch empfing uns, als wir an der QuickGo-Zentrale aus dem Wagen stiegen.
Squares fragte: »Hast du gefurzt?«
Ich sah ihn an.
»Hey, ich wollte das Ganze nur ein bisschen auflockern.«
Wir gingen ins Lagerhaus. Die Muller-Brüder waren je rund hundert Millionen Dollar wert, trotzdem teilten sie sich ein kleines Büro in der Mitte einer riesigen Lagerhalle. Ihre Schreibtische sahen aus, als hätten sie sie bei der Schließung einer Grundschule
billig ersteigert. Sie standen sich direkt gegenüber. Die Stühle aus lackiertem Holz stammten aus einer Zeit, als noch niemand wusste, was Ergonomie war. Computer, Faxgeräte oder Fotokopierer gab es nicht, nur die beiden Schreibtische, ein paar große Metall-Aktenschränke und zwei Telefone. Die Wände waren verglast. Die Brüder blickten gern auf die Warenkisten und Gabelstapler. Ob jemand zu ihnen hereinguckte, interessierte sie offenbar nicht.
Die beiden sahen sich sehr ähnlich und waren identisch gekleidet. Sie trugen graue Anzughosen und weiße Hemden mit Button-down-Kragen über T-Shirts mit V-Ausschnitten. Die Hemden waren so weit geöffnet, dass ihre graue Brustbehaarung wie Stahlwolle herausquoll. Als wir hereinkamen, erhoben sie sich und lächelten Squares breit an.
»Sie müssen Ms Sonays Guru sein«, sagte der eine. »Yogi Squares.«
Squares bestätigte dies durch ein gemessenes, weises Nicken.
Sie eilten zu ihm und schüttelten ihm die Hand. Ich dachte schon, sie wollten vor ihm niederknien.
»Wir haben die Videos per Express kommen lassen«, sagte der etwas größere Bruder, der sichtlich um Würdigung warb. Squares ließ sich zu einem weiteren Nicken herab. Sie führten uns über den Zementboden der Halle. Ich hörte das Piepen eines rückwärts fahrenden Gabelstaplers. Rolltore wurden geöffnet und LKWs beladen. Die Brüder grüßten jeden einzelnen Arbeiter, und die Arbeiter erwiderten die Grüße.
Dann betraten wir einen fensterlosen Raum mit einer Kaffeemaschine. Ein Fernsehapparat mit Zimmerantenne und ein Videogerät standen auf einem jener Metallwägelchen, die ich seit meinen Grundschultagen nicht mehr gesehen hatte.
Der größere Bruder schaltete den Fernseher ein. Das Bild flimmerte und der Ton rauschte. Er steckte die Kassette in den
Rekorder. »Da sind zwölf Stunden drauf«, erklärte er. »Sie meinten, der Mann, den Sie suchen, war gegen drei Uhr nachmittags im Geschäft?«
»Das hat man uns gesagt«, bestätigte Squares.
»Ich habe bis vierzehn Uhr fünfundvierzig vorgespult. Die Zeit auf dem Band läuft ziemlich schnell, weil nur alle drei Sekunden ein Bild aufgenommen wird. Ach, und der Vorlauf funktioniert leider nicht. Wir haben auch keine Fernbedienung, wenn Sie so weit sind, drücken Sie also einfach die Play-Taste hier am Gerät. Sie sind bestimmt lieber allein, also gehen wir gleich wieder. Sie können sich ruhig Zeit lassen.«
»Eventuell brauchen wir das Video«, sagte Squares.
»Kein Problem. Wir können eine Kopie machen.«
»Danke sehr.«
Ein Bruder schüttelte Squares noch einmal die Hand. Der andere – und das denke ich mir nicht aus – verbeugte sich. Dann ließen sie uns allein. Ich ging zum Rekorder und
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