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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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drückte die Play-Taste. Das Flimmern verschwand. Das Rauschen auch. Ich experimentierte mit dem Lautstärkeregler am Fernseher, doch es gab natürlich keinen Ton. Die Bilder waren schwarz-weiß. Unten auf dem Bildschirm war eine Uhr eingeblendet. Die Kamera zeigte die Kasse von schräg oben. Im Vordergrund stand eine junge Blondine. Mir wurde schwindlig vom Ruckeln der in Drei-Sekunden-Intervallen aufgenommenen Bilder.
    »Woran erkennen wir diesen Owen Enfield?«, fragte Squares.
    »Wir suchen nach einem Vierzigjährigen mit Bürstenschnitt.«
    Beim Betrachten des Videos stellte ich fest, dass das womöglich einfacher war, als ich erwartet hatte. Die meisten Kunden waren schon älter und trugen Golfkleidung. Ich fragte mich, ob in Stonepoint vor allem Rentner lebten. Das musste ich Yvonne Sterno beim nächsten Mal fragen.

    Um 15:08:15 entdeckten wir ihn. Erst nur von hinten. Er trug Shorts und ein kurzärmeliges Hemd. Sein Gesicht konnten wir nicht sehen, doch er hatte einen Bürstenschnitt. Er ging an der Kasse vorbei in den hinteren Gang. Wir warteten. Um 15:09:24 kam der potenzielle Owen Enfield um die Ecke und auf die langhaarige Blondine an der Kasse zu. Er hatte eine Zweiliterpackung Milch und ein Brot im Arm. Ich legte den Finger auf die Pause-Taste, damit ich das Bild anhalten und ihn mir genauer ansehen konnte.
    Aber das war gar nicht nötig.
    Der Spitzbart hätte einen irritieren können. Genau wie die kurz geschorenen, grauen Haare. Hätte ich mir das Video nur flüchtig angesehen oder wäre auf einer belebten Straße an ihm vorbeigegangen, wäre er mir vielleicht nicht aufgefallen. Aber ich sah nicht flüchtig hin. Ich konzentrierte mich. Und ich erkannte ihn. Trotzdem drückte ich die Pause-Taste: 15:09:51.
    Alle Zweifel waren dahin. Ich stand wie zur Salzsäule erstarrt da. Ich wusste nicht, ob ich jubeln oder heulen sollte. Ich drehte mich zu Squares um. Er sah mich an, nicht den Fernseher. Ich nickte ihm zu und bestätigte, was er bereits vermutet hatte.
    Owen Enfield war mein Bruder Ken.

40
    Die Gegensprechanlage summte.
    »Mr McGuane?«, sagte der Rezeptionist, der zum Sicherheitsdienst gehörte.
    »Ja.«
    »Joshua Ford und Raymond Cromwell sind hier.«
    Joshua Ford war Seniorpartner von Stanford, Cummings und Ford, einer Kanzlei, die mehr als dreihundert Rechtsanwälte beschäftigte.
Raymond Cromwell war wohl der Handlanger, der die Notizen machte und dafür sorgte, dass man ein paar Extra-Stunden in Rechnung stellen konnte. Philip betrachtete sie auf dem Bildschirm. Ford war groß, um die eins neunzig, und musste rund hundert Kilo wiegen. Er hatte den Ruf, hart, aggressiv und hinterhältig zu sein, und ganz im Einklang damit bewegten sich seine Kiefer, als kaue er auf einer Zigarre oder einem menschlichen Bein herum. Cromwell dagegen war jung, faltenlos, mit gepflegten Händen und wirkte insgesamt wachsweich.
    McGuane sah den Ghost an. Der Ghost lächelte, und wieder fröstelte McGuane. Einmal mehr fragte er sich, ob es klug gewesen war, Asselta mit in diese Angelegenheit hineinzuziehen. Schließlich war er zu dem Schluss gekommen, dass das schon in Ordnung ging. Der Ghost hing in der Sache mit drin.
    Außerdem war er gut in so was.
    Ohne den Blick von dem Gänsehaut-Lächeln abzuwenden, sagte McGuane: »Schicken Sie Mr Ford bitte alleine herein. Mr Cromwell möchte es sich im Wartezimmer bequem machen.«
    »In Ordnung, Mr McGuane.«
    McGuane hatte überlegt, wie er das Ganze angehen sollte. Er war kein Freund von Gewalt als Selbstzweck, schreckte jedoch auch nicht davor zurück. Für ihn war sie Mittel zum Zweck. Der Ghost hatte Recht mit diesem Spruch über Atheisten im Schützengraben. In Wahrheit waren wir alle nur Tiere oder sogar niedere Organismen, kaum komplexer als Pantoffeltierchen. Wenn man starb, war es vorbei. Es war reiner Größenwahn, zu glauben, dass wir Menschen irgendwie über dem Tod standen, dass wir im Gegensatz zu anderen Tieren die Möglichkeit hatten, unsere Existenz in irgendeiner Form fortzusetzen. Im Leben dominierten wir natürlich, aufgrund unserer überlegenen Stärke und Rücksichtslosigkeit. Wir waren die Herrscher. Aber zu glauben, dass wir in Gottes Augen etwas Besonderes wären,
dass wir uns bei ihm einschmeicheln konnten, indem wir ihm in den Hintern krochen, tja, man wollte ja nicht wie ein Kommunist klingen, aber genau dieses Denken hatten die Reichen seit Ewigkeiten dazu benutzt, die Armen arm zu halten.
    Der Ghost ging zur Tür.
    Man musste seine

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