Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
Gefängnisverwaltung. Ich wurde in einen Pferch im Keller gesperrt. Wer nicht mehr glaubt, dass Amerika ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Kulturen ist, braucht nur etwas Zeit in dieser Ansammlung der (Un)Menschlichkeit zu verbringen, die diese Mini-Filiale der Vereinten Nationen beherbergt. Ich hörte mindestens zehn verschiedene Sprachen. Es gab Hautfarben, die jeden Wachsmalkreiden-Hersteller inspiriert hätten. Man sah Baseballkappen, Turbane, Toupets und sogar einen Fez. Alle redeten
durcheinander. Und immer, wenn ich irgendetwas verstand  – ach, selbst wenn ich es nicht verstand –, hörte ich nur, dass sie unschuldig waren.
    Squares war zur Stelle, als ich dem Richter vorgeführt wurde. Genau wie meine neue Anwältin, eine Hester Crimstein. Ich kannte sie von irgendeinem berühmten Fall, konnte jedoch nicht mehr genau sagen, welcher das gewesen war. Sie stellte sich mir kurz vor und würdigte mich danach keines Blickes. Sie drehte sich um und starrte den jungen Staatsanwalt an, als wäre er ein verwundeter Keiler und sie ein Panther mit teuflisch schmerzenden Hämorrhoiden.
    »Wir beantragen, dass Mr Klein in Untersuchungshaft verbleibt«, sagte der junge Staatsanwalt. »Es besteht akute Fluchtgefahr.«
    »Warum?«, fragte der Richter, der aus jeder Pore Langeweile auszudünsten schien.
    »Sein Bruder ist der Hauptverdächtige in einem Mordfall und seit elf Jahren flüchtig. Und nicht nur das, Euer Ehren: Das Opfer des Bruders war die Schwester des Opfers des gestrigen Mordversuchs.«
    Das weckte den Richter aus seiner Lethargie. »Wie war das?«
    »Der Angeklagte, Mr Klein, wird des Mordversuchs an einer Katherine Miller beschuldigt. Mr Kleins Bruder Kenneth wird verdächtigt, vor elf Jahren die ältere Schwester seines gestrigen Opfers, Julie Miller, ermordet zu haben.«
    Der Richter, der sich das Gesicht gerieben hatte, hörte abrupt damit auf. »Ah, Moment. Ich erinnere mich an den Fall.«
    Der junge Staatsanwalt lächelte, als hätte er einen Stern für besondere Leistungen bekommen.
    Der Richter wandte sich an Hester Crimstein. »Ms Crimstein?«
    »Euer Ehren, wir sind der Ansicht, dass sämtliche Anklagen
gegen Mr Klein sofort fallen gelassen werden müssen«, sagte sie.
    Der Richter begann wieder, sich das Gesicht zu reiben. »Sie sehen mich schockiert, Ms Crimstein.«
    »Alternativ sind wir der Ansicht, dass Mr Klein umgehend auf freien Fuß gesetzt werden sollte. Und zwar ohne Zahlung einer Kaution und auf Ehrenwort. Mr Klein ist ein vollkommen unbescholtener Bürger. Er hat eine feste Anstellung, er arbeitet für die Bedürftigen der Stadt. Er ist in der Gemeinde verwurzelt. Was den lächerlichen Vergleich mit seinem Bruder betrifft, ist das ja wohl ein indiskutabler Fall von Sippenhaft.«
    »Meinen Sie nicht, dass die Bevölkerung sich berechtigte Sorgen macht, Ms Crimstein?«
    »Keineswegs, Euer Ehren. Ich habe gehört, dass Mr Kleins Schwester sich kürzlich eine Dauerwelle hat machen lassen. Wird es dadurch wahrscheinlicher, dass er dasselbe tun wird?«
    Gelächter.
    Den jungen Staatsanwalt stach der Hafer. »Euer Ehren, bei aller Hochachtung vor dem albernen Vergleich meiner Kollegin …«
    »Was ist daran albern?«, unterbrach Ms Crimstein.
    » … widerlegt er unser Argument nicht, dass Fluchtgefahr gegeben ist.«
    »Das ist lächerlich. Die Fluchtgefahr ist nicht größer als bei jedem anderen. Sie unterstellen das nur, weil Sie glauben, sein Bruder wäre geflohen – und nicht einmal das ist gesichert. Er könnte auch tot sein. Auf jeden Fall, Euer Ehren, unterschlägt die Staatsanwaltschaft einen entscheidenden Punkt in der ganzen Sache.«
    Hester Crimstein musterte den Staatsanwalt lächelnd.
    »Mr Thomson?«, sagte der Richter.
    Thomson, der junge Staatsanwalt, sah ihn nicht an.

    Hester Crimstein wartete noch einen Moment, dann übernahm sie wieder das Wort. »Das Opfer dieses niederträchtigen Verbrechens, eine gewisse Katherine Miller, hat heute Morgen ausgesagt, dass Mr Klein unschuldig ist.«
    Das passte dem Richter gar nicht. »Mr Thomson?«
    »Das stimmt so nicht ganz, Euer Ehren.«
    »Nicht ganz?«
    »Ms Miller hat behauptet, sie hätte den Angreifer nicht gesehen. Es war dunkel. Und er hat eine Maske getragen.«
    »Und dann«, ergänzte Ms Crimstein, »hat sie gesagt, dass es nicht mein Mandant war.«
    »Sie sagte, sie glaube, es wäre nicht Mr Klein gewesen«, entgegnete Thomson. »Aber sie ist schwer verletzt und verwirrt, Euer Ehren. Sie hat den Angreifer nicht

Weitere Kostenlose Bücher