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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Spring.«
    Wir saßen im Untergeschoss einer Starbucks-Filiale an der Park Avenue South, in einer Ecke neben der Feuertreppe. Außer uns war niemand hier unten. Sie behielt die Treppe im Auge, weil sie fürchtete, dass mir jemand gefolgt sein könnte. Diese Starbucks-Filiale war wie so viele andere in Erdfarben gehalten und mit surrealistischen Farbstrudeln und großformatigen Fotos dunkelhäutiger Männer dekoriert, die mit übertriebener Begeisterung Kaffeebohnen pflückten. Sie hielt einen Venti Iced Latte in den Händen. Ich hatte mich für den Frappuccino entschieden.
    Die dunkelroten, überdimensionierten Sessel waren angemessen plüschig. Wir schoben sie zusammen. Wir hielten uns an den Händen. Natürlich war ich verwirrt. Ich wollte Antworten. Aber davon abgesehen durchströmte mich auf einer ganz anderen, höheren Ebene das pure Glück. Es war ein unglaublicher Ansturm. Es beruhigte mich. Ich war glücklich. Was ich zu hören bekommen würde, konnte daran nichts ändern. Die Frau, die ich liebte, war wieder da. Ich würde nicht zulassen, dass sich daran etwas änderte.
    Sie nippte an ihrem Latte. »Es tut mir Leid«, sagte sie.
    Ich drückte ihre Hand.
    »Dass ich so abgehauen bin. Dass du glauben musstest …«, sie hielt inne, »… ich kann mir gar nicht vorstellen, was du gedacht
haben musst.« Unsere Blicke trafen sich. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Ist schon okay«, sagte ich.
    »Wie hast du rausgekriegt, dass ich nicht Sheila bin?«
    »Bei ihrer Beerdigung. Ich hab die Leiche gesehen.«
    »Ich wollt’s dir sagen, vor allem, als ich gehört habe, dass sie ermordet worden ist.«
    »Warum hast du’s mir nicht gesagt?«
    »Ken meinte, sie bringen dich dann womöglich um.«
    Beim Namen meines Bruders zuckte ich zusammen. Nora wandte sich ab. Ich strich mit der Hand ihren Arm hinauf und ließ sie auf der Schulter liegen. Ihre Muskeln waren völlig verkrampft. Ich massierte sie sanft, ein Augenblick der Vertrautheit. Sie schloss die Augen und ließ meine Finger ihre Arbeit tun. Wir sagten lange nichts. Ich brach das Schweigen. »Seit wann kennst du meinen Bruder?«
    »Seit fast vier Jahren.«
    Ich überwand den Schrecken und nickte, um ihr weitere Details zu entlocken, doch sie sah mich immer noch nicht wieder an. Sanft fasste ich sie am Kinn und drehte ihren Kopf zu mir. Ich küsste sie zart auf die Lippen.
    Sie sagte: »Ich liebe dich so.«
    Ich schwebte so über den Wolken, dass es mich fast aus dem Stuhl hob. »Ich liebe dich auch.«
    »Ich habe Angst, Will.«
    »Ich pass schon auf dich auf«, sagte ich.
    Sie fixierte mich. »Ich hab dich angelogen. Die ganze Zeit, die wir zusammen waren.«
    »Ich weiß.«
    »Meinst du wirklich, dass wir darüber wegkommen?«
    »Ich habe dich schon einmal verloren«, sagte ich. »Noch mal passiert mir das nicht.«

    »Bist du dir da so sicher?«
    »Ich werde dich immer lieben«, sagte ich.
    Sie studierte mein Gesicht. Ich weiß nicht, wonach sie suchte. »Ich bin verheiratet, Will.«
    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber leicht war das nicht. Ihre Worte wanden sich um mich und schnürten mir die Luft ab wie eine Boa Constrictor. Fast hätte ich meine Hand weggezogen.
    »Erzähl«, sagte ich.
    »Vor fünf Jahren bin ich vor Cray, meinem Mann, davongelaufen. Cray war …«, sie schloss die Augen, »… unglaublich gewalttätig. Ich will nicht ins Detail gehen. Das ist auch gar nicht wichtig. Wir haben in Cramden gelebt, in der Nähe von Kansas City. Eines Tages hat Cray mich krankenhausreif geschlagen, und dann bin ich abgehauen. Mehr brauchst du nicht zu wissen, okay?«
    Ich nickte.
    »Ich habe keine Familie. Ich hatte Freunde, aber die wollte ich da nicht mit reinziehen. Cray ist ein Verrückter. Er wollte mich nicht gehen lassen. Er hat gedroht, er würde …«
    Ihre Stimme erstarb. »Egal. Aber ich wollte niemand in Gefahr bringen. Also hab ich mir ein Frauenhaus gesucht. Die haben mich aufgenommen. Ich hab ihnen gesagt, dass ich neu anfangen wollte. Ich wollte da raus. Aber ich hatte Angst vor Cray. Weißt du, Cray ist ein Kleinstadtbulle. Du machst dir keine Vorstellung … wenn man so lange in Angst und Schrecken lebt, glaubt man langsam, so ein Mensch ist allmächtig. Ich kann dir das nicht erklären.«
    Ich rückte ein Stückchen näher und hielt ihre Hand fest. Ich hatte gesehen, was Gewalt und Missbrauch für Folgen hatten. Ich verstand sie.
    »Die vom Frauenhaus haben mir geholfen, nach Europa zu
flüchten. Ich hab in Stockholm

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