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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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gelebt. Das war schwer. Ich hab in einem Restaurant gearbeitet. Ich war die ganze Zeit einsam. Ich wollte zurück, hatte aber immer noch solche Angst vor meinem Mann, dass ich mich nicht getraut habe. Nach sechs Monaten dachte ich, ich dreh durch. Ich hatte immer noch Albträume, dass Cray mich findet …«
    Ihre Stimme brach. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich versuchte, meinen Sessel noch näher an ihren zu schieben. Die Armlehnen stießen schon aneinander, aber ich glaube, sie verstand die Geste.
    »Schließlich hab ich dann eine Frau kennen gelernt. Eine Amerikanerin, die in der Gegend wohnte. Wir haben sehr vorsichtig angefangen, aber irgendwie verstanden wir uns. Ich glaube, wir hatten beide was Gehetztes. Sie war auch furchtbar einsam, obwohl sie ihren Mann und ihre Tochter hatte. Sie waren auch untergetaucht. Erst wusste ich nicht, wieso.«
    »Die Frau«, sagte ich, »war Sheila Rogers?«
    »Ja.«
    »Und ihr Mann.« Ich schluckte. »Das war mein Bruder.«
    Sie nickte. »Sie haben eine Tochter, Carly.«
    Langsam fing ich an zu begreifen.
    »Sheila und ich wurden enge Freundinnen. Bei ihm hat es zwar ein bisschen länger gedauert, bis er mir vertraut hat, aber schließlich bin ich Ken auch näher gekommen. Ich bin zu ihnen gezogen und habe ihnen geholfen, sich um Carly zu kümmern. Deine Nichte ist ein wunderbares Kind, Will. Schlau und hübsch, und ich will nicht esoterisch werden, aber sie hat so eine Aura.«
    Meine Nichte. Ken hatte eine Tochter. Ich hatte eine Nichte, die ich noch nie gesehen hatte.
    »Dein Bruder hat die ganze Zeit von dir erzählt. Deine Mutter, deinen Vater oder Melissa hat er auch mal erwähnt, aber du
warst ihm am wichtigsten. Er hat verfolgt, was du gemacht hast. Er wusste alles über deine Arbeit im Covenant House. Er war ja schon seit … seit sieben Jahren untergetaucht. Wahrscheinlich war er auch einsam. Als er endlich Vertrauen zu mir gefasst hatte, haben wir uns dann sehr oft unterhalten. Und meistens hat er von dir erzählt.«
    Ich blinzelte und starrte auf den Tisch. Ich studierte die braune Starbucks-Serviette. Irgendein blödes Gedicht über Aroma und ein Versprechen stand darauf. Recyclingpapier. Bräunlich, weil sie auf Bleichmittel verzichteten.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie.
    »Alles klar«, sagte ich. Ich sah auf. »Und dann?«
    »Ich hab Kontakt zu einer Freundin zu Hause aufgenommen. Sie hat mir erzählt, Cray hat einen Privatdetektiv angeheuert und weiß, dass ich in Stockholm bin. Ich bin in Panik geraten, aber ich war auch bereit, weiterzuziehen. Wie gesagt, ich hatte mit Cray in Missouri gewohnt. Ich dachte, in New York wäre ich vielleicht sicherer. Aber ich brauchte eine bessere Tarnung, falls Cray weiter nach mir sucht. Sheila hatte das gleiche Problem. Ihr falscher Ausweis war eine ganz oberflächliche Tarnung, nur eine Namensänderung. Und da sind wir auf einen ganz einfachen Plan gekommen.«
    Ich nickte. Den kannte ich. »Ihr habt eure Identitäten getauscht.«
    »Genau. Sie wurde Nora Spring und ich Sheila Rogers. Wenn mein Mann mich verfolgt hätte, wäre er bei ihr gelandet. Und wenn die Leute, die nach ihr gesucht haben, Sheila Rogers  – also mich – gefunden hätten, dann wäre das eben noch eine zusätzliche Tarnung gewesen.«
    Ich dachte darüber nach, aber irgendwas passte immer noch nicht ganz. »Na gut, so bist du also zu Sheila Rogers geworden. Ihr habt die Identitäten getauscht.«

    »Ja.«
    »Und du bist in New York gelandet.«
    »Ja.«
    »Und …«, das war der Teil, der mir Schwierigkeiten bereitete, »… irgendwie sind wir uns begegnet.«
    Nora lächelte. »Du fragst dich, wieso, stimmt’s?«
    »Klar.«
    »Du findest, das ist ein verdammt großer Zufall, dass ich ausgerechnet da auftauche, wo du arbeitest.«
    »Klingt unwahrscheinlich«, pflichtete ich ihr bei.
    »Da hast du Recht. Das war kein Zufall.« Sie lehnte sich zurück und seufzte. »Ich weiß nicht recht, wie ich das erklären soll, Will.«
    Ich hielt einfach ihre Hand und wartete.
    »Also, du musst dir das so vorstellen. In Europa war ich wahnsinnig einsam. Ich hatte nur deinen Bruder und Sheila, und natürlich Carly. Dein Bruder hat den lieben langen Tag von dir geschwärmt, und das war so … du warst ganz anders als die Männer, die ich gekannt habe. Eigentlich war ich wohl schon halb in dich verliebt, bevor wir uns überhaupt begegnet sind. Als ich dann in New York war, hab ich mir daher überlegt, dass ich dich mal sehen will, rausfinden, wie du

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