Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
Vom Netzwerk:
an. Sie starrte ins Nichts und zupfte an ihrer Unterlippe.
    »Du willst also weitermachen«, sagte Squares.
    »Ja, aber ich will dich nicht in Gefahr bringen.«
    »Okay, dann ist das jetzt der Teil, wo du zu mir sagst, dass ich jederzeit aussteigen kann.«

    »Genau. Und du antwortest darauf, dass du das mit mir bis zum Ende durchziehst.«
    »Und jetzt setzen die Geigen ein«, sagte Squares. »Wo wir das jetzt hinter uns haben, kann ich dir mitteilen, dass Roscoe sich grad via Raquel bei mir gemeldet hat. Wie’s aussieht, hat er eine Idee, wie Sheila geflohen sein könnte. Hast du Lust auf einen nächtlichen Ausflug?«
    »Hol mich hier ab«, sagte ich.

26
    Philip McGuane sah seinen alten Gegenspieler im Monitor der Überwachungsanlage. Die Gegensprechanlage summte.
    »Mr McGuane?«, sagte der Portier.
    »Schicken Sie ihn hoch«, sagte er.
    »Ja, Mr McGuane. Er hat eine …«
    »Die kann mitkommen.«
    McGuane stand auf. Von seinem Eckbüro aus überblickte er den Hudson River an der Südwestspitze Manhattans. In den Sommermonaten glitten die neuen Mega-Kreuzfahrtschiffe mit ihren Neon-Aufbauten und den verglasten Lobbys vorbei, manche ragten fast bis zu seinem Fenster hinauf. Heute rührte sich nichts. Mit der Fernbedienung schaltete McGuane die Überwachungskameras um, so dass er seinen FBI-Antagonisten Joe Pistillo und dessen Untergebene immer im Blickfeld hatte.
    McGuane gab viel Geld für Sicherheit aus. Es lohnte sich. Die Anlage verfügte über dreiundachtzig Kameras. Jeder, der seinen Privatfahrstuhl betrat, wurde aus mehreren Blickwinkeln digital gefilmt. Das Besondere an dem System war allerdings, dass die Kameras so ausgerichtet waren, dass man von jedem, der hereinkam, auch Bilder aufnehmen konnte, die ihn beim Verlassen des
Gebäudes zeigten. Sowohl der Korridor als auch der Fahrstuhl waren mintgrün gestrichen. Das mochte unbedeutend erscheinen – und war eigentlich sogar recht hässlich –, doch wer sich mit Spezialeffekten und digitaler Bildbearbeitung auskannte, wusste, was es bedeutete. Ein Bild konnte von dem grünen Hintergrund auf einen anderen Hintergrund kopiert werden.
    Seine Feinde fühlten sich sicher, wenn sie ihn hier besuchen kamen. Dies war schließlich sein Büro. Niemand, glaubten sie, wäre so dreist, jemanden in seinen eigenen vier Wänden umzubringen. Da lagen sie falsch. Diese Dreistigkeit in Verbindung mit der Tatsache, dass die Behörden genau dasselbe glaubten – insbesondere, wenn er anhand der Überwachungsvideos auch noch beweisen konnte, dass das Opfer das Gebäude unbehelligt verlassen hatte –, machten das Büro zum perfekten Ort, um zuzuschlagen.
    McGuane nahm ein altes Foto aus der obersten Schreibtischschublade. Er hatte früh gelernt, dass man einen Menschen oder eine Situation nie unterschätzen durfte. Er hatte auch gelernt, dass es Vorteile brachte, wenn man seine Gegner dazu verleitete, einen zu unterschätzen. Er betrachtete das Foto der drei Siebzehnjährigen – Ken Klein, John »der Ghost« Asselta und McGuane. Sie waren alle in Livingston, New Jersey, aufgewachsen, McGuane allerdings auf der anderen Seite des gutbürgerlichen Vororts. Sie hatten sich in der High School kennen gelernt und schnell zueinander hingezogen gefühlt, weil sie – aber vielleicht war das auch etwas übertrieben – meinten, eine geistige Verwandtschaft in den Augen der anderen entdeckt zu haben.
    Ken Klein war der hitzige Tennisspieler gewesen, John Asselta der verrückte Ringer, McGuane der hinreißende Charmeur und Vorsitzende der Schülermitverwaltung. Er musterte die Gesichter auf dem Foto. Es war nicht zu erkennen. Man sah nur drei ziemlich beliebte High-School-Kids. Hinter dieser Fassade
war nichts. Als die Columbine High School vor ein paar Jahren von diesen Kids zusammengeschossen worden war, hatte McGuane die Berichterstattung in den Medien fasziniert verfolgt. Die Welt suchte bequeme Erklärungen. Die Jungs waren Außenseiter. Die Jungs wurden gehänselt und schikaniert. Die Eltern der Jungs waren nur selten zu Hause, daher haben ihre Kinder die ganze Zeit am Computer gespielt. Doch McGuane wusste, dass das alles keine Rolle spielte. Es war eine andere Zeit, aber das hätten sie sein können – Ken, John und McGuane; in Wahrheit war es nämlich ganz egal, ob man finanziell gut situiert war, seine Eltern liebte, sich zurückzog, kämpfte oder mit dem Strom schwamm.
    Manche Menschen tragen einfach diese Wut in sich.
    Die Bürotür wurde geöffnet. Joseph Pistillo

Weitere Kostenlose Bücher