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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Jahre alt.«

27
    Ich stand mit Katy auf der Straße vor dem Haus, als Squares im Bus vorfuhr. Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Wange. Squares sah es und zog eine Augenbraue hoch. Ich runzelte die Stirn.
    »Ich dachte, du wolltest bei mir auf der Couch schlafen«, sagte ich zu ihr.
    Seit der Obstkorb angeliefert worden war, wirkte Katy etwas geistesabwesend. »Ich bin morgen wieder da.«
    »Aber du willst mir nicht sagen, was los ist?«

    Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und zuckte die Achseln. »Ich muss nur was nachsehen.«
    »Was denn?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ich drängte sie nicht. Sie lächelte mir noch kurz zu und machte sich auf den Weg. Ich stieg in den Bus.
    Squares sagte: »Und das ist?«
    Ich erklärte es ihm, während wir in die Stadt fuhren. Er hatte jede Menge Sandwiches und Decken dabei. Squares versorgte die Kids damit. Genau wie die Geschichte von der vermissten Angie eigneten sie sich ausgezeichnet als Eisbrecher, und selbst wenn das nicht klappte, hatten die Kids wenigstens etwas zu essen und eine warme Decke. Squares konnte mit diesen Dingen wahre Wunder vollbringen. Bei der ersten Begegnung nahmen die Jugendlichen meist überhaupt keine Hilfe an. Manche beschimpften uns sogar oder wurden feindselig. Squares nahm das nicht persönlich. Er kam einfach immer wieder. Für ihn lag der Schlüssel in der Beharrlichkeit. Man musste den Jugendlichen zeigen, dass man immer für sie da war, dass man nicht einfach wieder verschwand. Und dass die Hilfe nicht an irgendwelche Bedingungen gebunden war.
    Ein paar Abende später nehmen sie ein Sandwich. Irgendwann wollen sie auch eine Decke. Noch ein bisschen später fangen sie an, nach dem Bus Ausschau zu halten.
    Ich griff nach hinten und hob ein Sandwich hoch. »Arbeitest du heute Nacht schon wieder?«
    »Nein«, sagte er trocken. »Ich hab nur einen Wahnsinnshunger.«
    Er fuhr weiter.
    »Wie lange willst du ihr noch aus dem Weg gehen, Squares?«
    Er schaltete das Radio ein. Carly Simons You’re So Vain lief. Squares sang mit. Dann sagte er: »Erinnerst du dich noch an den Song?«

    Ich nickte.
    »Und an die Gerüchte, dass Warren Beatty gemeint war. Stimmt das?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    Wir fuhren weiter.
    »Darf ich dich was fragen, Will?«
    Er sah auf die Straße. Ich wartete.
    »Wie überrascht warst du, als du erfahren hast, dass Sheila ein Kind hat?«
    »Sehr.«
    »Und«, fuhr er fort, »wie überrascht wärst du, wenn ich dir erzählen würde, dass ich auch eins hatte?«
    Ich sah ihn an.
    »Du kapierst einfach nicht, um was es geht, Will.«
    »Würde ich aber gern.«
    »Eins nach dem anderen.«
    Der Verkehr floss heute Abend ohne jede Störung. Carly Simon wurde ausgeblendet und dann flehte The Chairman of the Board eine Frau um »just a little more time« an, dann würde ihre Liebe bestimmt wachsen. So viel Verzweiflung in einer so schlichten Bitte. Ein toller Song.
    Wir durchquerten die Innenstadt und fuhren auf dem Harlem River Drive nach Norden. Als wir ein paar Kids entdeckten, die sich unter einer Brücke zusammendrängten, hielt Squares am Straßenrand.
    »Kurzer Arbeitseinsatz«, sagte er.
    »Soll ich helfen?«
    Squares schüttelte den Kopf. »Dauert nicht lange.«
    »Nimmst du die Sandwiches?«
    Squares warf einen nachdenklichen Blick auf die potenziellen Hilfsempfänger und antwortete: »Nee. Ich hab was Besseres.«

    »Was?«
    »Telefonkarten.« Er gab mir eine. »Ich hab TeleReach überredet, über tausend Stück zu spenden. Die Kids drehen völlig durch, wenn sie die sehen.«
    Das stimmte allerdings. Als die Jugendlichen die Karten erblickten, scharten sie sich um Squares. Auf ihn war Verlass. Ich sah sie mir an, versuchte, in der dunklen Masse einzelne Gesichter mit ihren Wünschen, Träumen und Hoffnungen auszumachen. Die meisten Kids halten hier nicht lange durch. Dabei geht es weniger um die ungeheuren physischen Gefahren. Damit kommen die meisten klar. Die Seele, der Sinn für das eigene Dasein erodiert hier draußen. Und wenn die Erosion erst einmal ein gewisses Niveau überschritten hat, tja, dann ist das das Ende der Fahnenstange.
    Sheila war gerettet worden, bevor sie dieses Niveau erreicht hatte. Dann hatte jemand sie umgebracht.
    Ich verdrängte diesen Gedanken. Dafür war jetzt keine Zeit. Konzentrier dich auf die Aufgaben, die du vor dir hast. Bleib in Bewegung. Das Handeln hält die Trauer im Zaum. Lass dich von ihr antreiben, nicht ausbremsen.
    Tu es – so kitschig das auch klingen mag –

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