Kein Lebenszeichen
für sie.
Nach ein paar Minuten kam Squares zurück. »Weiter geht’s.«
»Du hast mir noch nicht gesagt, wo wir eigentlich hinwollen.«
»An die Ecke 128th Street und 2nd Avenue. Da wartet Raquel auf uns.«
»Und was wollen wir da?«
»Wir gehen einem Hinweis nach.«
Wir bogen vom Highway ab und fuhren durch ein Viertel mit Sozialwohnungen. Ich sah Raquel schon aus zwei Blocks Entfernung. Das war nicht weiter schwierig. Raquel hatte die Größe eines kleinen Fürstentums und war gekleidet,
als wäre das Liberace-Museum explodiert. Als Squares neben ihm zum Stehen gekommen war, betrachtete er ihn stirnrunzelnd.
»Was ist?«, fragte Raquel.
»Rosa Pumps zum grünen Kleid?«
»Die Schuhe sind korallenrot und das Kleid ist türkis«, sagte Raquel. »Und die magentafarbene Handtasche hält alles zusammen.«
Squares zuckte die Achseln und parkte vor einem Laden mit einem ausgebleichten Schild, auf dem GOLDBERG PHARMACY stand. Als ich ausstieg, umschlang Raquel mich mit den Armen. Die Umarmung fühlte sich an wie nasses Schaumgummi. Er roch nach Aqua Velva- Rasierwasser und ich musste an den Aqua-Velva-Slogan »There’s something about an Aqua Velva man« denken, der in diesem Fall mal wirklich zutraf.
»Tut mir wirklich Leid«, flüsterte er.
»Danke.«
Er ließ mich los und ich bekam wieder Luft. Er weinte. Die Tränen vermischten sich mit der Mascara und liefen ihm die Wangen hinunter. Dort mischten sie sich mit den anderen Farben und verteilten sich dann in den struppigen Bartstoppeln, so dass sein Gesicht anfing, wie eine Tropfkerze auszusehen, wie man sie bei Spencer’s Gifts kaufen konnte.
»Abe und Sadie sind drinnen«, sagte Raquel. »Sie wissen, dass ihr kommt.«
Squares nickte und ging in die Apotheke. Ich folgte ihm. Als wir eintraten, ertönte ein Gong. Der Geruch erinnerte an ein Kirsch-Wunderbäumchen, wie es manche Autofahrer am Rückspiegel baumeln haben. Die Regale waren hoch und dicht bepackt. Ich sah Verbandsmaterial, Deodorants, Shampoos und Hustensäfte. Irgendeine Ordnung konnte ich allerdings nicht erkennen.
Ein alter Mann mit einer Halbbrille an einer Kette erschien. Er trug ein weißes Hemd unter einer Strickweste. Er hatte reichlich dichtes, weißes Haar, das den gepuderten Perücken ähnelte, die Richter früher trugen. Dazu extrem buschige Augenbrauen, so dass er ein bisschen wie eine Eule aussah.
»Sieh einer an, Mr Squares!«
Die beiden Männer umarmten sich, und der Alte klopfte Squares ein paar Mal kräftig auf den Rücken. »Gut sehen Sie aus«, sagte der Alte.
»Sie auch, Abe.«
»Sadie«, rief er. »Sadie, Mr Squares ist hier.«
»Wer?«
»Der Yoga-Mann. Der mit der Tätowierung.«
»Auf der Stirn?«
»Ja, der.«
Ich schüttelte den Kopf und beugte mich zu Squares hinüber. »Gibt es irgendwen, den du nicht kennst?«
Er zuckte die Achseln. »Ich bin halt ein Glückskind.«
Sadie, eine ältere Frau, die selbst in Raquels höchsten Pumps keine eins fünfzig groß gewesen wäre, trat hinter dem Regal hervor. Sie sah Squares stirnrunzelnd an und sagte: »Sie sehen mager aus.«
»Lass ihn zufrieden«, sagte Abe.
»Schsch, du sei ruhig! Essen Sie auch genug?«
»Natürlich«, sagte Squares.
»Haut und Knochen. Sie sind ja nichts als Haut und Knochen.«
»Sadie, kannst du den Mann nicht zufrieden lassen?«
»Schsch, sei ruhig.« Sie lächelte verschwörerisch. »Ich habe einen Kigel gemacht. Soll ich Ihnen was davon geben?«
»Nachher vielleicht, danke.«
»Ich tu ein bisschen in eine Tupperware-Dose.«
»Sehr nett, danke.« Squares drehte sich zu mir um. »Das ist mein Freund Will Klein.«
Die beiden Alten bedachten mich mit traurigen Blicken. »Er war ihr Freund?«
»Ja.«
Sie musterten mich. Dann sahen sie sich an.
»Ich weiß nicht«, sagte Abe.
»Sie können ihm vertrauen«, beteuerte Squares.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber wir sind wie Priester. Wir reden nicht. Das wissen Sie. Und sie war sehr entschieden. Egal, was passiert, wir dürfen auf keinen Fall was erzählen.«
»Ich weiß.«
»Wenn wir jetzt trotzdem reden, was sind wir dann noch wert?«
»Ich verstehe.«
»Man könnte uns umbringen, wenn wir was erzählen.«
»Niemand wird davon erfahren. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
Das alte Paar sah sich noch eine Weile an. »Raquel«, sagte Abe dann. »Er ist ein guter Junge. Oder ein gutes Mädchen. Ich weiß nicht, manchmal bin ich ganz verwirrt.«
Squares trat zu ihnen. »Wir brauchen Ihre Hilfe.«
Sadie ergriff die
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