Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Ian? Hast du ein Pferd für sie?«
Aus Beths Gesicht wich jede Farbe. »Oh, ich reite nicht.«
Alle drei MacKenzies starrten sie an. »Sie reiten nicht?«, fragte Daniel entsetzt.
Beth schob ihre Hand in Ians. »Als arme Pfarrersfrau hatte ich keine Gelegenheit, durch den Hyde Park zu reiten. Und Mrs Barrington hatte ihre Zeit als Reiterin längst hinter sich. Aber in Paris hatte ich eine Ponykutsche gemietet.«
Für diese Bemerkung erntete sie mitleidige Blicke von Cameron und David.
»Sie haben Glück«, sagte Cam. »Als Entschädigung für Ihre Ehe mit einem MacKenzie haben Sie den besten Stallmeister auf der Britischen Insel als Schwager. Ich suche ein Pferd für Sie aus, und morgen beginnen wir mit dem Unterricht.«
Beth drückte Ians Hand immer fester. »Eine sanfte Mähre, bitte. Und eigentlich muss ich auch nicht reiten, ich bin gut zu Fuß.«
»Sag es ihr, Ian.«
Beth sah Ian groß an. Und auf einmal vergaß Ian, worum es in dem Gespräch überhaupt ging, und es war ihm gleich, ob Beth meisterlich ritt oder sich nie auf den Rücken eines Pferdes schwingen würde. Er wollte sie nur in den Armen halten und da weitermachen, wo sie vor Camerons Ankunft aufgehört hatten. Ian beugte sich zu ihr und küsste sie.
»Ich lasse nicht zu, dass er dir wehtut«, sagte er.
»Da bin ich aber beruhigt«, sagte Beth matt.
Cameron wählte keine alte Schindmähre für sie aus, sondern eine sanfte, nicht mehr ganz junge Stute. Nichtsdestotrotz war die Stute riesig. Sie überragte selbst Cameron, und ihre Hufe waren breit wie Servierteller. »Ihre Mutter war ein Arbeitspferd«, sagte Cameron. »Manchmal züchte ich solche Pferde zum Springen, sie sind sehr ausdauernd. Sie ist eine ganz Liebe. Dann mal rauf mit Ihnen!«
Auf dem breiten Pferderücken wirkte der Sattel wie ein Zierdeckchen. In dem Damensattel gab es nur einen Steigbügel für Beths linken Fuß und ein Horn, über das sie das rechte Bein legen konnte.
»Warum können Frauen nicht wie die Männer reiten?«, klagte Beth, während Cameron sie aufs Pferd hievte. Sie hatte zu viel Schwung, und mit einem Aufschrei landete sie auf der anderen Seite in Ians Armen.
»Mit einem Pferd zwischen den Beinen?« Cameron riss die goldgefleckten Augen auf und schlug sich erschrocken wie eine ältliche Jungfer auf den Mund. »Was hast du nur für eine Frau geheiratet, Ian?«
»Eine praktisch denkende«, sagte Beth. Sie kämpfte mit den Röcken ihres Reitkleids und angelte nach dem Steigbügel.
Im Rücken wurde sie von Ians starken Händen gestützt. Cameron ergriff ihre Fessel und drückte ihren Fuß in den Steigbügel. »Gut. Bereit?«
»Aber ja. Auf zum Derby.« Sie wollte nach den Zügeln greifen, doch Cameron wollte sie ihr nicht reichen.
»Heute noch ohne Zügel. Ich führe.«
Beth sah ihn ängstlich an. Ian stand neben ihr auf der anderen Seite, seine hünenhafte Gestalt beruhigte sie ein wenig, doch sie thronte in schwindelerregender Höhe über ihm.
»Ohne Zügel falle ich herunter«, protestierte sie. »Oder nicht?«
»Am Kopf kannst du dich nicht festhalten«, erklärte Ian. »Du musst von selbst die Balance halten.«
»Darin habe ich mich nie besonders geschickt angestellt.«
»Das wird schon«, sagte Cameron.
Ohne viel Federlesens führte Cameron das Pferd in leichtem Schritt. Sofort rutschte Beth aus dem Sattel, doch Ian fing sie auf und brachte sie wieder in Positur. Er grinste bis über beide Ohren. Lachte seine arme Frau aus.
Die Stallburschen und auch die Dienstboten aus dem Herrenhaus kamen herbeigeeilt, um ihr zuzusehen. Entweder taten sie, als kämen sie zufällig am Park vorbei, oder sie standen ganz ungeniert am Zaun, der die Stallungen vom Park trennte. Dabei scheuten sie sich nicht, der neuen Dame des Hauses Ratschläge zu geben oder zu applaudieren, wenn sie sich beim Traben im Sattel hielt.
Am Ende des Unterrichts hatte Beth zumindest gelernt, sich oben zu halten und die Beine zur Unterstützung einzusetzen. Die Bediensteten jubelten, als Ian sie schließlich vom Pferd hob.
Ihre Freundlichkeit und ihr Wohlwollen standen in starkem Kontrast zur frostigen Atmosphäre beim Abendessen. Hart hüllte sich in eisiges Schweigen. Die Diener, die Beth beim Reiten noch angefeuert hatten, wirkten kleinlaut.
Beth taten die Beine weh, ihre Muskeln waren die Beanspruchung nicht gewohnt. Kaum hatte sie sich auf den Esszimmerstuhl fallen lassen, den Ian für sie zurechtrückte, schnellte sie mit einem Aufschrei schon wieder hoch.
Ian umfasste sie.
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