Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Stock auf sie herab, doch von der Mutter hatte Beth noch nie ein Bild gesehen. Neugierig trieb sie Emmie an, einen Schritt zuzulegen.
Hinter ihr geriet Camerons Hengst ins Stolpern. Beunruhigt drehte Beth sich herum, Cam war bereits abgestiegen und untersuchte den Pferdehuf.
»Hat er sich verletzt?«
»Nein, der kommt schon wieder in Ordnung. Hat nur ein Eisen verloren, nicht wahr, mein Junge?« Er tätschelte ihm den Hals. »Reiten Sie nur bis zur Burg hoch, Emmie kennt den Weg.«
Beth schluckte. Bislang war sie noch nie allein geritten, doch irgendwann musste sie es ja einmal wagen. Auf ihr Kommando setzte sich Emmie in Bewegung und trottete den Hügel hinauf.
Inzwischen war es heiß geworden, und die Luft stand zwischen den Bäumen. Beth wischte sich die Stirn ab und hoffte, in der Ruine würde es kühler sein.
Kurz darauf kam auch schon ein malerischer moosbewachsener Steinbau in Sicht. Er war mit winzigen Fenstern versehen, die Steine kunstvoll zerfallen. Die Aussicht war atemberaubend. Unzählige Hügel fielen sanft hinab, bis sie sich in der Ferne im flachen grauen Meer verloren. In einer schmalen Schlucht vor der Ruine rauschte ein Bach.
»Du bist ganz sicher, dass Fellows keine neuen Beweise hat?« Beth erstarrte beim Klang von Harts Stimme, die aus der Ruine an ihr Ohr drang.
»Habe ich doch gesagt«, entgegnete Ian.
»Du hast überhaupt nichts gesagt. Wir müssen darüber reden. Warum hast du Lily Martin nicht erwähnt?«
»Ich wollte sie beschützen.« Schweigen. »Am Ende habe ich ihr nicht helfen können.«
Lily Martin, so hieß die Frau, die in Covent Garden umgebracht worden war. Beth erinnerte sich auch, dass Ian noch in derselben Nacht nach Paris abgereist war. Fellows war überzeugt, dass Ian der Mörder war.
»Warum hast du mir nicht davon erzählt?«, fragte Hart erneut.
»Um sie zu schützen«, sagte Ian mit Nachdruck.
»Vor Fellows?«
»Auch.«
»Vor dem, der Sally Tate umgebracht hat?«, fragte Hart scharf.
Wieder fiel lange Zeit kein Wort, nur der Bach plätscherte vergnügt vor sich hin.
»Ian, was weißt du?« Harts Stimme hatte jeden Ausdruck verloren.
»Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Und was hast du gesehen?«, fragte Hart ungeduldig.
»Blut. Sie war voller Blut, und ihr Blut klebte an meinen Händen. Ich habe versucht, es an den Wänden und am Bettzeug abzuwischen. Es klebte wie Farbe … «
»Ian. Sieh mich an.«
Ians Stimme verlor sich. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, wiederholte er leise.
»Aber weiß Fellows davon?«
Wieder schwieg Ian eine Weile, bis er mit fester Stimme sagte: »Nein.«
»Was will er dann von Beth?«
»Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas will er von ihr, und ich werde nicht zulassen, dass er ihr auch nur ein Haar krümmt.«
»Sehr edel von dir«, versetzte Hart trocken.
»Wenn sie mit mir verheiratet ist, dann schützt dein Name auch sie. Lloyd Fellows ist es untersagt, die Familie des Herzogs von Kilmorgan zu belästigen.«
»Ich erinnere mich.«
»Er hat versucht, sie zu überreden, mich auszuspionieren«, fuhr Ian fort.
Auf einmal bekam Harts Stimme einen scharfen Unterton. »Hat er das wirklich?«
»Beth hat abgelehnt.« Ian klang zufrieden. »Sie hat ihn rausgeworfen. Meine Beth lässt sich von dem nicht einschüchtern.«
»Bist du sicher, dass sie abgelehnt hat?«
»Ich war dabei. Doch um ganz sicherzugehen … « Abermals entstand eine Gesprächspause, während der Beth den Atem anhielt.
»Um ganz sicherzugehen?«, half Hart nach.
»Eine Ehefrau kann nicht gegen ihren Mann in den Zeugenstand gerufen werden, nicht wahr?«
Hart schwieg einen Moment. »Verzeih mir, Ian. Manchmal unterschätze ich deine Intelligenz.«
Ian gab keine Antwort.
Hart fuhr fort: »Du hast ja recht, Ian. Besser, sie steht auf unserer Seite, doch sobald sie dich unglücklich macht, lasse ich die Ehe annullieren. Mit einer entsprechenden Summe können wir sie dann zum Schweigen bringen. Jeder hat seinen Preis.«
Ihre Kehle schnürte sich zusammen, die Welt um sie her geriet ins Wanken. Blindlings trieb Beth ihre Stute zur Umkehr, froh, dass Emmies Hufe auf dem feuchten Laubboden kaum Lärm machten.
Übelkeit ergriff sie. An Emmies rotbraune Mähne geklammert, ließ sie das Pferd den Weg allein zurückfinden. Im Nachhinein konnte sie sich an den Ritt zurück nach Kilmorgan kaum erinnern. Auf einmal lag das Tal mit dem lang gestreckten Anwesen vor ihr, und seine vielen Fenster funkelten wie wachsame Augen.
Cameron war nirgends zu
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