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Kein Opfer ist vergessen

Kein Opfer ist vergessen

Titel: Kein Opfer ist vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Harvey
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ich ruf dich morgen an. Dann können wir irgendwo was essen gehen.«
    Sie berührte seine Wange und küsste ihn kurz. Fast hätte ich mich übergeben. Aber Brennan zog Leine.
    »Arschloch«, sagte Sarah und winkte Brennan nach, der das Nevins mit zwei Kumpeln verließ.
    »Rufst du ihn an?«
    »Er wird sich nicht mal mehr daran erinnern, heute mit mir geredet zu haben. Ich wollte nur verhindern, dass er den Laden hier zu Kleinholz macht.«
    »Glaubst du, ich wäre mit ihm nicht fertiggeworden?«
    Sarah musterte mich abwägend. Ich bin ein bisschen über eins achtzig und wiege so um die neunzig Kilo.
    Sie schüttelte den Kopf. »Er hätte dich umgebracht.«
    »Ja, vielleicht.«
    Sie hob ihr Bierglas. »Wir vergessen ihn einfach. Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Bei unserem Seminar.«
    »Richtig. Was hältst du von unserem dritten Mann?«
    »Von Havens?«
    »Ja. Weißt du was über ihn?« Es klang, als wüsste sie einiges und wollte es unbedingt loswerden.
    »Ich habe gehört, dass er von der University of Chicago kommt.«
    »Richtig. Fachbereich Jura. Er war Jahrgangsbester. Chefredakteur der juristischen Fachzeitschrift.«
    »Und was macht er dann bei uns?«
    Die Medill School of Journalism war wahrscheinlich die beste der Welt. Oder wenigstens eine der beiden besten. Trotzdem, es ging um Journalismus. Das Durchschnittsgehalt der Absolventen rangierte zwischen dreißig- und fünfzigtausend Dollar im Jahr. Vorausgesetzt, man landete bei einer auflagenstarken Zeitung. Ein ehemaliger Chefredakteur der juristischen Fachzeitschrift der Uni von Chicago konnte locker mit dem Dreifachen rechnen. Ich kannte die Zahlen. Bei meinem Jura-Aufnahmetest hatte ich nahezu die höchste Punktzahl erreicht. Ich hatte mir das Für und Wider der beiden Berufe durch den Kopf gehen lassen.
    »Havens will kein Anwalt werden«, erklärte Sarah. »Er hat es nur zum Spaß gemacht.«
    »Er war in Chicago die Nummer eins seines Jahrgangs und hat es nur zum Spaß gemacht?«
    »Das ist noch nicht alles. In seinem dritten Studienjahr hat er bei einer Rechtsberatung auf der South Side angefangen und sich mit einem Fall von Kindesmissbrauch befasst. Wie es heißt, hat er sich dermaßen in die Sache verbissen, dass er einigen Leuten unheimlich geworden ist.«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Na, jedenfalls hat er entschieden, dass Jura nicht sein Ding ist.«
    »Und was schwebt dem Wunderknaben jetzt so vor?«
    »Das weiß keiner. Bekannt ist nur, dass er an die Medill wollte und unbedingt in unser Seminar.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Ich mache meine Hausaufgaben. Bei seiner Aufnahme in die Medill hat er sogar verhandelt und gesagt, dass er sich nur einschreibt, wenn man ihm einen Platz in Zs Seminar garantiert.«
    »Und die Medill hat das mitgemacht?«
    »Warum nicht? Havens gilt als Genie. Ich nehme an, den Seminarplatz hätte er sowieso bekommen.«
    Ich dachte an Havens. Er schien ein interessanter Typ zu sein. So interessant, dass ich vergessen hatte, mit wem ich hier zusammensaß. Doch jetzt nahm ich ihren Duft wahr, sah, dass sie eine dünne Goldkette trug und an ihrer Kehle eine Vene ganz leicht pochte.
    »Was hältst du davon?«, fragte Sarah.
    »Wovon?«
    »Havens natürlich.«
    »Ach ja. Er wollte also in unser Seminar. Na und?«
    »Der Brief, den er gefunden hat, war ziemlich seltsam.«
    »Wahrscheinlich ist er bedeutungslos.«
    »Kann sein.« Sarah nippte an ihrem Bier. »Soll ich dir noch was sagen?«
    »Was denn?«
    »Ich gehöre nicht in unseren Kurs.«
    »Was soll das heißen?«
    »Jeder hier an der Uni weiß, wie klug du bist, Ian. Ich will dich nicht beleidigen, aber Havens könnte möglicherweise noch klüger sein als du. Ich passe nicht zu euch.«
    »Quatsch. Du hast dich beworben und bist angenommen worden. Also passt du auch zu uns.«
    Sie beugte sich zu mir vor. »Weißt du, warum sie mich angenommen haben?«
    »Ich weiß nicht einmal, warum ich angenommen worden bin.«
    »Ach bitte. Bei mir lag es nur an meiner Arbeit für Omega. Das war der einzige Grund.«
    »Was ist Omega?«
    »Eine Frauenorganisation, genau genommen ein Netzwerk für misshandelte Frauen. Wir sorgen für sichere Häuser, schmuggeln die Frauen hinein und hinaus und verstecken sie vor den Arschlöchern, die sie verprügeln. So lange, bis sie eine andere Unterkunft finden.«
    »Und da arbeitest du?«
    »Ja. Ehrenamtlich. Einmal haben wir abends eine Frau aus ihrem Haus herausgeschafft, als plötzlich ihr Mann auftauchte. Er war betrunken und hat die

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