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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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weg auf einen andern richten, und jene Beklommenheit würde weichen, die gewöhnlich in Schwermut endete.
    Savigny also. Unglückliche Wahl. Ausgeschlossen, ihnnicht zu bemerken; ausgeschlossen, es nicht gewahr zu werden, wenn das eigne Gegenbild einem gegenübertritt. Der Mensch, an dem man ablesen kann: Es gibt sie, die glückliche Hand der Natur. Es gibt die Perfektibilität ihrer Geschöpfe. Savigny, der Mann, der sich sein Schicksal selber macht. Reich; unabhängig; souverän. Früh seines Wertes, womöglich sogar seiner Grenzen bewußt. An nichts gefesselt als an ausführbare Pläne und Ziele. Berufung zum Rechtsgelehrten – warum denn nicht. Kleist verbietet sich das Vorurteil gegen einen Mann, der einem Amt zustrebt.
    Seine Stimmung schlägt um, das kennt er. Erniedrigt er sich so weit, diesen Savigny um die Ungezwungenheit, die Festigkeit im Umgang mit seinesgleichen zu beneiden? Um seine Art, mit Frauen zu verkehren, die ihm nicht widerstehn können? Daß die Bettine sogar, das quirlige Mädchen, ruhig, beinah sanft geworden ist, nachdem Savigny sie bei der Hand genommen und eindringlich, doch freundlich mit ihr gesprochen hat? Obwohl sie, Kleist möchte es schwören, den selbstgewissen Mann kalt läßt.
    Es zerreißt ihn, daß er denen nichts gilt. Das Werk ist nicht geschrieben, mit dem er auch diesen hier einst Schläge versetzen wird, daß sie in die Knie gehn sollen. Kein Vorgefühl sagt ihnen, wer der stumme Fremdling in ihrem Salon in Wirklichkeit, das heißt in seiner eignen Vorstellung, ist. Gerüchte mögen sie erreicht haben; denkbar, wie der Klatsch in den reicheren Häusern an Rhein und Main blüht. Kleist fängt Blicke auf, die ihn erbittern.
    Endlich. Man bittet zum Tee.
    Ein frisches, ganz junges Mädchen bringt das Tablettherein und wird von der Bettine eine Spur zu überschwenglich begrüßt. Die Günderrode bemerkt ein Unbehagen auf dem Gesicht des Gastes aus Preußen. Sie kennt die Bettine. Ihm muß es exaltiert vorkommen, wie sie das Mädchen bei der Hand nimmt, seinen Namen nennt, Marie, und allen kundtut, die Lieder, die sie am Klavichord probiert, habe sie von diesem Mädchen erfahren, das, außer in Volksliedern und Märchen, in der Botanik der Gegend bewandert sei wie keine zweite. Sie nimmt zwei Teetassen vom Tablett, bringt sie der Günderrode und Clemens, kündigt dem Clemens einige Perlen für seine Volksliedersammlung an, Melodien, die wie durch einen Magnet mit den Texten zusammenhängen. Der Bruder geht nicht auf sie ein, sie fragt nichts, streift die Gesichter der beiden mit einem forschenden Blick und zieht sich zu dem großen ovalen Tisch zurück, an dem die meisten, auch Kleist, Platz nehmen. Zuckergebäck wird herumgereicht, in durchbrochenen Porzellankörbchen. Einen Augenblick ist es ganz still. Die Günderrode hört ihren Herzschlag, und eine unsinnige Hoffnung schießt in ihr auf. Dann sagt Gunda Savigny: Jetzt ist ein Engel durchs Zimmer gegangen.
    Clemens zieht eine Grimasse, er mag das leicht sentimentale Wesen dieser Schwester nicht. Die Günderrode kann sich nicht die leiseste Regung gegen Gunda erlauben, sie weiß, der Freundschaftsbund mit Savigny hat nur Bestand, wenn sie sich strikt an die Satzungen hält: daß es ein Bund zu dritt ist, mit Gunda als der Dritten. Die Günderrode muß lächeln. Nicht Gunda ist die Dritte in diesem Bund: Sie selbst ist es, was immer die andern beiden ihr beteuern mögen. Liebe bindet stärkerals Freundschaft – wer sollte es wissen, wenn nicht sie.
    Worüber sie gelacht hat. Ach Clemens! Nur frei heraus, er fange schon an, sich an ihren heimlichen Spott zu gewöhnen; daß sie ihn so lange im unklaren gelassen über ihr poetisches Talent, ihm nicht einen ihrer Versuche gezeigt habe: Akkurat zu seiner Beschämung habe sie hinter seinem Rücken dieses Bändchen auf den Markt gebracht.
    Warum ist sie mitgekommen. Sie hätte sich kennen sollen. Sich einzureden, der freie Platz in der Mertenschen Kutsche, die inständigen Bitten ihrer Freundinnen Paula und Charlotte Servière – der Zwillinge, die jedermann in einem Atemzuge nennt – seien Gründe. Der wirkliche Grund, jetzt sieht sie ihn klar und versteht auch ihr eigentümlich heftiges Widerstreben: Sie mußte Savigny wiedersehn. Immer ist es Leidenschaft, wenn wir tun, was wir nicht wollen.
    Clemens kann sich nicht beruhigen, daß er eine solche Vollendung in ihrem Gemüt, wie ihre Gedichte sie ausweisen, nicht bemerkt haben soll. Er habe weinen müssen, sagt er, über das

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