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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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nicht.
    Kleist schweigt.
    Nun, sagt Merten, er glaube zu verstehn. Wie aber könne ein einzelner, der dem Maß der Menge sich entziehe, seine außergewöhnlichen Zwecke einem Staat aufdringen, seine hochgespannten Forderungen an das Leben einem Gemeinwesen präsentieren, das doch allen – dem Bauern, dem Kaufmann, dem Höfling wie dem Dichter – gerecht zu werden habe?
    Als wenn er sich nicht darüber schon die Seele aus dem Leib gegrübelt hätte. Gut! sagt er heftig. Soll der Staat meine Ansprüche an ihn, soll er mich verwerfen. Wenn er mich nur überzeugen könnte, daß er dem Bauern, dem Kaufmann gerecht wird; daß er uns nicht alle zwingt, unsere höheren Zwecke seinem Interesse zu unterwerfen. Die Menge, heißt es. Soll ich meine Zweckeund Ansichten künstlich zu denen der ihren machen? Und vor allem: Was ihr wirklich zuträglich wäre, ist noch die Frage. Nur stellt sie niemand. Nicht in Preußen.
    Mann, Kleist! ruft Savigny. Wohin geraten Sie.
    Ja, es ist wahr, sagt Kleist. Manches, was die Menschen ehrwürdig nennen, ist es mir nicht. Vieles, was ihnen verächtlich erscheint, ist es mir wiederum nicht. Ich trage eine innere Vorschrift in meiner Brust, gegen welche alle äußern, und wenn sie ein König unterschrieben hätte, nichtswürdig sind.
    Menschenskind! ruft Savigny. Das beten Sie herunter wie ein Exerzierreglement. Ja fürchten Sie sich nicht? Haben Sie keine Angst?
    Darauf ist nichts zu sagen. Angst. Wenn du wüßtest, mein Lieber: Namenlose Angst. Manchmal denk ich, daß ich auf der Welt bin, dieser Angst einen Namen zu finden. Und er ist mir schon nah, sehr nah. Ich muß ihm auflauern, in mir selbst. Die Gesichter, wenn ich ihnen sagen würde, daß es meine Bestimmung ist, nach mir selber zu schnappen, wie des Hofrats närrischer Hund nach seinem eignen Schwanz! Daß die Leute nur immer einen Unglücklichen nicht für unglücklich gelten lassen können.
    Merten muß sich äußern. Herr von Kleist wolle, wenn er ihn recht verstehe, zum Ausdruck bringen, er fühle sich unfähig, sich in irgendein konventionelles Verhältnis dieser Welt einzupassen.
    Kleist ist des Geschwätzes müde. Allerdings, sagt er. Er finde viele Einrichtungen dieser Welt so wenig seinem Sinn gemäß, daß es ihm unmöglich sei, an ihrer Erhaltung und Ausbildung mitzuwirken. Wedekind fragt,ob er nicht in Preußen Aussicht auf eine Anstellung in der technischen Deputation gehabt.
    Bei Struensee, ja. Er war mir nicht ungewogen. Aber wissen Sie eigentlich, wie militärisch das ganze preußische Kommerzsystem ist? Als der Minister, in dessen Dienst ich treten sollte, mit mir von dem Effekt einer Maschine sprach, meinte er nicht etwa den mathematischen, über den ich mit ihm wohl hätte reden können. Nein: Unter dem Effekt einer Maschine verstand er nichts andres als das Geld, das sie einbringt!
    Da kann Joseph Merten nur lachen. Aber mein Lieber. Der mathematische Effekt einer Maschine ist interessant nur insofern, als er den ökonomischen hervorbringt.
    Bin ich irre? Sind die es? Es wird dahin kommen, daß die Kinder auf der Straße meine Weltfremdheit belachen. Schon wag ich es nicht mehr, ein Wort wie Wahrheit überhaupt noch in den Mund zu nehmen.
    Wenn die Sache liegt, wie Sie sagen: Warum verschwendet dann der Staat Millionen an alle diese Anstalten zur Ausbreitung der Gelehrsamkeit? Ist es ihm um die Wahrheit zu tun? Dem Staate? Ein Staat kennt keinen andern Vorteil, als den er nach Prozenten berechnen kann. Die Wahrheit will er nur insoweit kennen, als er sie gebrauchen kann. Er will sie anwenden. Und worauf? Auf Künste und Gewerbe. Aber die Künste lassen sich nicht wie die militärischen Handgriffe erzwingen. Künste und Wissenschaften, wenn sie sich selbst nicht helfen, so hilft ihnen kein König auf. Wenn man sie in ihrem Gang nur nicht stört, das ist alles, was sie von Königen begehren.
    Solche Meinungen, Kleist! Brentano, bestürzt. Wem wollen Sie die in Ihrem Berlin vertrauen!
    Niemandem, sagt Kleist. Keiner Menschenseele. Da ich mich auf List und Verschmitztheit schlecht verstehe, habe ich schweigen gelernt. Eine schwere, doch lohnende Kunst. Üben Sie sie, ich rate Ihnen. Der Korse steht vor der Tür.
    Eine verfehlte Bemerkung; Beklommenheit soll nicht aufkommen. Der Hofrat springt ein: Da bleibt Ihnen nichts, Kleist, als eine reiche Heirat!
    Sie sagen es. Mein Pech nur, der märkische Adel ist größtenteils verarmt. Was tun? Würfeln. Frankreich oder Preußen. Ein Amt oder die Literatur. Erniedrigung und

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