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Kein Ort - Nirgends

Kein Ort - Nirgends

Titel: Kein Ort - Nirgends Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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würde, wie er den Autor dadurch peinigt, Merten fragt an, ob der Herr von Kleist nicht vielleicht aus dem Verkauf seiner literarischen Produktion einen bescheidenen Lebensunterhalt würde bestreiten können?
    Bücher schreiben für Geld? O nichts davon! ruft da der Kleist mit einer unerwarteten Heftigkeit. Soll ich auf einem mir entfernten, gleichgültigen Gebiet, dem Militärwesen,fremden Zwecken widerstanden haben, um mich ihnen dann auf meinem eigentlichsten Gebiet zu unterwerfen?
    Um Himmels willen, wem sag ich das.
    Kleist hat einen jener Augenblicke trauriger Klarheit, da er zu jeder Miene den Gedanken, zu jedem Wort den Sinn, zu jeder Handlung den Grund sieht; da alles, er selbst am meisten, in armseliger Blöße dasteht und ein Ekel in ihn eindringt und die Worte ihm und allen aus den Mündern springen wie Kröten. Seltsam berührt ihn da, was von der Günderrode, die sich mit der Bettine auf eine Fensterbank gesetzt hat, zu ihm herüberdringt: Gedichte sind Balsam auf Unstillbares im Leben. – Merkwürdig, wie diese Frau, auch wenn sie zu andern spricht, ihn zu meinen scheint, und daß sie ihm als die einzig Wirkliche unter Larven vorkommt. Da sagt Brentano in einem ernsten Ton, der Kleist für ihn einnimmt: Sie haben recht, Kleist. In unsern Tagen kann man nicht dichten. Man kann nur für die Poesie etwas tun. Der Dichter lebt wie in einer Wüste, die wilden Tiere fallen ihn an, denn alle kann man sie nicht zahm singen, und die Affen tanzen ihm nach.
    Und Kleist, auch sehr ernst, erwidert ihm, ohne zu überlegen: Das Leben wird immer verwickelter und das Vertrauen immer schwerer.
    Es gibt eine Pause, ohne Verlegenheit. Die Günderrode, sieht Kleist, hat zu ihnen herübergehorcht, das ist ihm recht. Er ist nicht ohne Übung in der Fertigkeit, auf indirekte Weise mit einem andern zu sprechen. Er will ihnen nun Bescheid tun. Mehr als einmal, sagt er, sei er schon fest entschlossen gewesen, nie in sein Vaterland Preußen zurückzukehren.
    Sie fragen nicht, warum. Ihre Vorstellungskraft reicht nicht aus, die richtigen Fragen zu stellen. Das kennt er. Die ahnungslosen Stirnen. Was auch könnte einen jungen preußischen Adligen aus altrenommiertem Geschlecht aus seinem Lande treiben. An dem er hängt, jetzt sagt er es selbst, wider Willen. Und dem er – wie wenige Jahre ist es her! – freudig seine Jugend geopfert, was nun wieder diese Herren hier kaum begreifen werden, da sie es gewohnt sind, in wechselnden Grenzen zu leben, von wechselnden Souveräns regiert zu werden, in Kürze, so scheint es, sogar von dem Fremden. Er dagegen, der Gedanke kommt ihm zum erstenmal, hat nicht in einem wirklichen Gemeinwesen gelebt, sondern in seiner Idee von einem Staat. Der Sache und ihren Folgen will er später nachgehn.
    Bei seiner ersten Grenzüberschreitung, sagt er, habe er die Erfahrung gemacht, wie sich sein Vaterland immer besser ausnahm, je weiter er sich von ihm entfernte; wie allmählich der Druck einer selbstauferlegten, doch uneinlösbaren Verpflichtung gegen dieses Land von ihm wich; wie ihn das erleichtert habe, daß er auch wieder schlafen konnte und zu neuem Lebensmute kam. – Würzburg sieht er vor sich, Dresden, Zürich, die kleine Insel im Thuner See, selbst Weimar; die Zeiten innerer Freiheit, die er da erlebt, werden sich in Berlin nicht wiederholen.
    Plötzlich habe er denken können, sagt er, was er nie für möglich gehalten: daß er die Blume des Glücks überall pflücken solle, wo sie sich ihm biete. So sei er entschlossen gewesen, sich eine neue Heimat zu suchen, und niemals werde er jene Nacht vergessen . . .
    Er bricht ab, die Sprache versagt sich ihm. Als blockieredas Sprechorgan sich selbst, denkt die Günderrode, um den Mann zu hindern, sich, mehr als ihm gut ist, andern zu eröffnen. Ein Übereifer, der sich selber in die Zügel fällt; was muß der Mensch ausstehn. Sie faßt ein Interesse an ihm, kein Mitleid. Die Menschen sind sonst zu leicht zu durchschauen, es langweilt sie.
    Die Nacht, denkt Kleist, es war im Dezember, da ich in die Schweiz kam, den Boden meines neuen Vaterlands betrat. Ein stiller Landregen fiel. Ich suchte Sterne in den Wolken. Nahes und Fernes, alles war so dunkel. Mir war’s wie ein Eintritt in ein anderes Leben.
    Man drängt ihn nicht, wartet. Der Hofrat, dem die Pause lang genug erscheint, sagt leise: Und?
    Und? erwidert Kleist, in schneidendem Ton. Sie denken es sich nicht? Nirgends hab ich gefunden, wonach ich suchte.
    Das wäre? Merten; er läßt es

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